Zur Theorie der Fiktionen
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teristischen Eigenschaften konstruierte Fiktionen betrachtet
werden können. Für unsere jetzigen Zwecke bedeutet es aber
eine Vereinfachung, wenn wir so tun, als ob die Mengen wirk
liche Dinge wären.“
Fiktion A 3 : Versuchen wir vom idealistischen
Standpunkt aus die Fiktion durch das Merkmal „unwirk
lich“ zu umschreiben, so wird ihr Umfang wieder ein wesent
lich anderer als bei den beiden ersten Typen, da ja das Wirk
liche selbst denkbestimmt ist. Es kann also erst innerhalb der
Sphäre der logischen Produkte eine Gruppe ausgeschieden
werden, deren Gegenständen das Merkmal „wirklich“ oder
„existierend“ nicht zukommt. Daß das nicht notwendig logisch
falsche oder widerspruchsvolle Bildungen sein müssen, kön
nen wir aus den Ausführungen Natorps entnehmen. Dieser
Autor betont z. B. bei der n-dimensionalen Geometrie, daß
derartige Bildungen durchaus widerspruchslos sein können,
ohne daß sie als wirklich zu bezeichnen seien und spricht von
einer besonderen Modifikation des Denkens, dem Denken der
Existenz. In dem Kampf zwischen „Intuitionisten“ und „Axio-
matikern“ um die Begründung der Analysis und Mengenlehre
wird neuerdings auch wieder betont, daß Unwirkliches
sehr wohl widerspruchslos sein könne (vgl. Typus A*).
Was die Wertung dieser fiktiven Gebilde anbelangt, dürfte
diese viel geringer sein als beim Typus A 3 , aber höher als beim
positivistischen Ai.
Fiktion A 4 : Husserl charakterisiert in seiner phäno-
menologischenPhilosophie die Fiktion ebenfalls als
ein Unwirkliches. Die Fiktion ist freie E i n b i 1 d u n g, sie
vollzieht sich spontan, insofern ist sie ein Produkt des
Geistes; aber sie bezeichnet nichts, was in der Seele, noch im
Bewußtsein, noch sonstwo existiert. Auch wenn Husserl von
fingierten Figuren des Geometers redet, versteht er dies im
Sinne freier Phantasieschöpfungen. Trotzdem ist
die Wertung dieser Gebilde bei Husserl eine sehr hohe; er
räumt den freien Phantasien in den eidetischen Wissenschaften