Full text: Fiktionen in der Mathematik

Formen des Fiktionsbegriffs 
dann aber auch wieder die gerügten Unbestimmtheiten auf. Es 
muß überhaupt bemerkt werden, daß die Abgrenzung des 
Eigenbereichs auch nicht die gewünschte Eindeutigkeit auf 
weist; das mag im Gebiet der Mathematik der Vergleich des 
Satzes von H. Poincare: „Alles was sich widerspruchsfrei defi 
nieren läßt, existiert“, mit den früher dargelegten Auffassungen 
von E. Husserl zeigen. 
Daß dieser Fiktionsbegriff B faktisch verwendet wird, soll 
ein Zitat von A. Müller dartun 253 ): „Fiktion ist jeder nicht 
wirkliche Gegenstand, der benutzt werden kann, um die Er 
kenntnis der Wirklichkeit zu erleichtern“; „ein Merkmal der 
Fiktivität eines Gegenstandes ist die Nichtwirklichkeit 
innerhalb des Bereiches, zu dem er alsGegen- 
stand gehört.“ Dieses Zitat weist zugleich auf den be 
reits erwähnten Zusammenhang mit der Fiktion A hin. 
Bei Vaihinger scheinen die Fassungen A und B des Fiktions 
begriffs durcheinanderzulaufen. Denn wenn er an der einen 
Stelle die gebrochenen, irrationalen und komplexen Zahlen 
ablehnt, weil sie keine wirklichen Zahlen seien, so bringt er 
die Fassung B zur Anwendung, wonach also die natürliche 
Zahl als legitimer Gegenstand der Mathematik anzuerkennen 
wäre, die erweiterten Zahlbegriffe dagegen nicht. Will man 
nachweisen, daß diese Zahlen im weiteren Sinn keine Fik 
tionen sind, so muß man zeigen, daß sie sich in entsprechender 
Weise wie die natürlichen Zahlen legitimieren lassen, d. h. 
man muß prüfen, ob sie widerspruchslos eingeführt werden 
können. Wenn aber an anderer Stelle Vaihinger die Zahl über 
haupt als etwas Unwirkliches den Fiktionen zurechnet, so liegt 
seiner Argumentation offenbar der Fiktionsbegriff A zugrunde. 
Ähnlich ist die Sache bei der Behauptung, die mathematischen 
Punkte, Linien und Flächen seien Fiktionen. Hier spricht 
allerdings noch das weitere Moment herein, daß Vaihinger die 
von ihm behaupteten Widersprüche des Raumbegriffs auf 
diese räumlichen Gebilde überträgt. 
Wenn man die Fiktion festlegt wie im Fall B, dann ist die 
Frage, ob gewisse Begriffsbildungen oder aber nur Urteile 
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