Fiktionen in der Mathematik
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Verhältnisses ohne die bezogenen Dinge, eine Abstrak
tion, welche die Reflexion ohne Schwierigkeit vollziehen
könne. Was Vaihinger damit sagen will, ist ganz dunkel,
wesentlich ist für uns, daß nach seiner Meinung der reine
mathematische Raum durch einen eigentümlichen Prozeß
unseres Vorstellungsvermögens gebildet wird, in welchem Ab
straktion und Imagination Zusammenwirken 274 ); die Abstrak
tion löse den Raum, der doch nur ein Verhältnis materieller
Dinge sei, von diesen Dingen los. Da aber ohne das Bezogene
auch das Verhältnis in Nichts zerfließe, trete die Imagination
helfend ein, sie mache mit ihrem „Verdünnungsprozeß“ an der
Grenze halt, wo die Materie ins Nichts verschwinde.
„Gerade in diesem widerspruchsvollen Moment hat diese
Vorstellung diejenigen Eigenschaften, welche wissenschaftlich
am fruchtbarsten sind“ 275 ) heißt es. „Mag der Raum nun als
Eigenschaft oder als Verhältnis oder als beides zu bezeichnen
sein, er hängt einmal funktionell zusammen mit oder vielmehr
ab von den materiellen Phänomenen. Diese sind die unab
hängig Veränderlichen, er ist das abhängig Veränderliche.“
Bei dieser Deduktion ist es verständlich, daß Vaihinger
schließlich schreibt, der Raum des Mathematikers sei schlech
terdings nichts anderes als ein wissenschaftliches, künstliches
Präparat... eine abstrakte Fiktion.
Was so Vaihinger vom reinen, absoluten Raum sagt, das
soll auch entsprechend „von den einzelnen mathematischen
Räumen und Raumteilen“ gelten, „zunächst von der Vorstel
lung der sog. mathematischen Körper, wie Kugel, Zylinder,
Kubus, Prisma“ usw. „Die Grundlage für die psychologisch
logische Entstehung dieser Gebilde sind die entsprechenden
empirischen körperlichen Gegenstände.“ „Aber wiederum sind
Abstraktion und Imagination in derselben Weise tätig.“ „Das
Körperliche wird auf ein Minimum, zuletzt auf Null reduziert“;
aber indem man vom Inhalt abstrahiere, werde die Form noch
festgehalten usw. „Solche Formen ohne Inhalte sind an sich
nichts, ja schlimmer als nichts, denn sie sind widerspruchs
volle Gebilde, ein Nichts, das doch noch als ein Etwas