Die „Mathematischen Fiktionen“ in der „Phil, des Als-Ob“
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Wäre diese Auffassung Yaihingers hinsichtlich der ima
ginären Zahlen richtig, dann wäre allerdings schon aus diesem
Grund ein sehr großer Teil der modernen Mathematik auf
fiktiver Grundlage errichtet, denn die komplexen Zahlen
durchsetzen nicht nur die ganze moderne Analysis, vor allem
die Funktionentheorie, und erscheinen in der Algebra ge
radezu unentbehrlich, sondern sie spielen auch in der neueren
Geometrie eine bedeutende Rolle. Aber gerade das behauptet
ja Vaihinger, daß die Mathematik weithin mit Fiktionen
arbeite; wollen wir seine Auffassung widerlegen, so müssen
wir zeigen, daß sich die komplexen Zahlen widerspruchsfrei
begründen lassen. Während diese Aufgabe den späteren
Kapiteln zugewiesen wird, sei hier vor allem nochmals be
merkt, daß Vaihinger bei den imaginären Zahlen immer das
Moment betont: Übertragung auf einen Fall, wo die Opera
tion unberechtigt ist, wo sie sinnlos, widerspruchsvoll, logisch
falsch ist, dagegen hinsichtlich der Fiktivität der Zahl das
Merkmal nicht -wirklich, daher subjektiv, imaginativ.
Schon im vorausgehenden zeigte sich bei Vaihinger eine
starke Betonung des Widerspruchsvollen, besonders bei den
irrationalen und imaginären Zahlen, als Merkmal dieser
mathematischen Fiktionen. Dies überwiegt vollends ganz bei
der Gruppe von mathematischen Fiktionen, bei der das Un
endliche in Frage kommt. Dazu kommt noch als methodologi
sches Prinzip die Korrektur durch entgegengesetzte Fehler.
Schon an gewissen Elementarmethoden will Vaihinger die
Anwendung dieses Prinzips aufweisen. So sagt er bei der Auf
lösung der kubischen Gleichung
x 3 -f px + q = 0,
man betrachte nach Cardanus die Wurzel x dieser Gleichung
als aus zwei Teilen y und z bestehend, setze also x = y -j- z,
um dann aus zwei abgeleiteten Gleichungen die Werte von
y und z zu bestimmen, die man wieder addiere. Es handle sich
also um zwei fiktive Denkprozesse:
1. „Die logische Funktion zerlegt das gegebene Wirkliche,