Full text: Fiktionen in der Mathematik

Die „Mathematischen Fiktionen“ in der „Phil, des Als-Ob“ 
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Die „Fiktion des Unendlich-Kleinen“ nimmt in 
den Erörterungen Yaihingers über mathematische Fiktionen 
eine zentrale Stellung ein, zugleich ist es aber auch das ver- 
wickeltste Problem, da bei den diesbezüglichen Ausführungen 
mehrere wesentlich verschiedene Gedankengänge ineinander 
greifen; wir müssen daher diesem Begriff ganz besondere Be 
achtung schenken. 
Eine erste Anwendung des Unendlich-Kleinen findet Vai- 
hinger bei den sog. N u 11 f ä 11 e n. Er meint, eine fundamen 
tale Eigentümlichkeit der mathematischen Gebilde, in letzter 
Linie etwas durchaus definitiv Gegebenes, sei ihre Einteilung 
in Gattungen und Arten; so teile sich die Gattung Kegel 
schnitte in die Arten: Kreis, Ellipse, Parabel, Hyperbel. Es 
seien ganz bestimmte und genau definierbare Modifikationen 
der allgemeinen Form des Begriffs, welche aus der Gattung 
einzelne Arten machen, und man könne von der einen Art zur 
andern nur durch einen begrifflichen Sprung gelangen. Die 
Definition der Ellipse z. B. verlange, daß sie zwei Brennpunkte 
F und F' besitze, die die Entfernung 2e = m haben, und es 
entstehe eine durchaus anders geartete Gestalt, wenn diese 
Entfernung wegfalle; somit gebe es keinen stetigen Übergang 
von der Ellipse zum Kreis. Der Fortschritt von der Ellipse 
zum Kreis sei schlechterdings diskontinuierlich. „Es ist eine 
Kluft da, über welche keine Brücke führt“, sagt Vaihingen 
Nun könne man aber doch von der Ellipse ausgehend das m 
immer mehr verkleinern und sich so dem Kreis Schritt für 
Schritt nähern. Vaihinger schreibt: „Diese Teilung kann ich 
ins Unendliche fortsetzen; wie, wenn ich es nun wagte, mir 
vorzustellen, d. h. die Fiktion machte, diese ins Unendliche 
fortschreitende Teilung — sei vollendet? Freilich begehe ich 
damit einen recht krassen, logischen Widerspruch, aber ich 
erhalte doch auch dadurch einen Vorteil. Wäre nämlich — 
was ich freilich nur imaginativ, fiktiv setzen kann — 
jene unendliche Teilung vollendet, so wäre der letzte Teil nicht 
mehr endlich, sondern eben — unendlich klein. Wenn nun 
dadurch jene Distanz m unendlich gering würde, so würden ja
	        
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