Fiktionen in der Mathematik
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tionen in Lehrsätze wird erreicht, daß als Beweisgründe der
äußeren Form nach nur Kernsätze und Lehrsätze auftreten,
nicht auch Definitionen.
Uber den Wert impliziter Definitionen für den
Fortschritt in Geometrie und Analysis äußert sich Pasch in
folgender Weise 305 ): „Gewiß könnte man sich mit dem Begriff
der geraden Strecke begnügen, wie es Ja so lange geschehen
ist, und so der impliziten Definition, zu der der Begriff der ge
raden Linie nötigt, aus dem Wege gehen. Man müßte aber
dann in der Geometrie allen neueren Ergebnissen, in denen
die gerade Linie und von ihr abhängige Begriffe verkommen,
andere Fassungen geben. Diese Fassungen wären von un
erträglicher Weitläufigkeit und ein schweres Hemmnis für
den Fortschritt der Wissenschaft und für ihre Überlieferung.“
In der elementaren Geometrie sind die Begriffe eng begrenzt,
in der neueren dagegen weit und umfassend. Dadurch konnten
die elementaren Fragen nur schwerfällig, die höheren dagegen
in durchsichtiger und verhältnismäßig einfacher Weise be
handelt werden. Nach Ansicht Paschs können die erweiterten
Begriffe auch in den Elementen verwendet werden, nur müssen
sie an der rechten Stelle eingeführt werden. Pasch gibt in
seinen „Vorlesungen über Neuere Geometrie“ ein glänzendes
Beispiel für solche fortschreitende Begriffserweiterung. In
den „Grundfragen der Geometrie“ heißt es darüber: Der Weg
vom physischen Punkt zum mathematischen führt über Zwi
schenglieder. Zuerst wird vom Punkt und der geraden Strecke,
die begrenzt ist, zur geraden Linie oder Geraden, der Be
grenzung fehlt, übergegangen, ebenso von der ebenen Fläche,
die begrenzt ist, zur Ebene, der Begrenzung fehlt. Indem
die Anwendung der Wörter: Punkt, Gerade, Ebene über ihre
„eigentliche“ Bedeutung hinaus erweitert wird, gesellen sich
„ideale Elemente“ zu den eigentlichen. Indem man die An
wendung der Beziehungsbegriffe: Aneinanderliegen, . . . ent
sprechend erweitert, gewinnt man die Stammbegriffe der pro
jektiven Geometrie... Nunmehr werden Koordinaten und,
unter Rücksichtnahme auf die Ungenauigkeit der geometri-