Full text: Fiktionen in der Mathematik

Die Grundbegriffe der Geometrie 
haupt eines mathematischen Systems kann nur gewährleistet 
werden unter der Annahme gewisser Gesetze des Denkens, die 
nicht der Erfahrung entstammen, sondern die transzenden 
talen Voraussetzungen aller Erfahrung bilden. Aber aus der 
Logik allein ist der Bau der Mathematik nicht aufzuführen, es 
müssen noch alogische Elemente dazutreten. 
Bei diesen erscheint eine Scheidung notwendig in solche, 
die, der Erfahrung entstammend, gewisse Begriffs- und 
Systembildungen veranlassen und solche, die reiner An 
schauung entspringen und reine Mathematik als solche erst 
ermöglichen. So dürften die Begriffe des Punktes, der Linie 
und der Fläche bereits Elemente reiner Anschauung enthalten. 
Es mag zweckmäßig sein, zur Einführung in die Geometrie 
von empirischen Daten auszugehen, da ja die letzten Quellen 
erst aufgedeckt werden müssen, aber das Wesen des mathe 
matischen Punktes ergibt sich nicht aus der Wahrnehmung 
selbst. 
Es könnte so scheinen, als werde hier der Standpunkt der 
idealistischen Philosophie vertreten; aber von ihm scheidet 
uns die Auffassung der geometrischen Axiome. Wenn wir von 
reiner Anschauung in der Geometrie sprechen, so denken wir 
uns diese nicht belastet mit Voraussetzungen, die nach unserer 
Auffassung so oder so gewählt werden können. 
Für die Wahl einzelner Axiome oder gewisser Axiom - 
gruppen kann tatsächlich die äußere Erfahrung ausschlag 
gebend sein, aber bei jeder solchen Auswahl sind wir bereits 
auf dem Weg zur angewandten Mathematik, die sich von der 
reinen Mathematik wesentlich darin unterscheidet, daß sie 
durch Werturteile gewisse unter einer Anzahl möglicher 
Begriffsbildungen ausscheidet. 
Wir stimmen aber hinsichtlich der Axiome auch nicht vor 
behaltlos den Anschauungen zu, die diese als bloße Konven 
tionen und als implizite Definitionen der in ihnen auf tretenden 
Grundbegriffe ansehen. Denn in der Grundforderung der 
Widerspruchslosigkeit sehen wir eben wieder bei allen Axio 
men ein Zurückgehen auf jene letzten, der reinen Anschauung 
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