Full text: Fiktionen in der Mathematik

Fiktionen in der Mathematik 
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eine „Geometrie“ sei. Sodann halten wir es auch nicht für zu 
lässig, gerade die Dimensionenzahl 3 als für die „Geometrie“ 
unbedingt notwendig vorauszusetzen. Wir glauben daher, daß 
die hier behandelten Systeme nicht unbedingt als bloße arith 
metische Mannigfaltigkeiten betrachtet werden müssen, son 
dern daß vom Standpunkt der reinen Mathematik aus die 
Nichteuklidischen Geometrien wie auch die Geometrie von 
mehr als drei Dimensionen als wirkliche Geometrien betrachtet 
werden können. 
Vom Standpunkt der angewandten Mathematik aus kann 
man alle diese geometrischen Systeme als Fiktionen ansehen, 
wenn man, wie der radikale Empirismus, den Kreis des Wirk 
lichen auf die empirische Wirklichkeit beschränkt. Man kann 
aber auch von der Annahme ausgehen, daß der Welt der 
realen Dinge eine Raumordnung zukommt, deren Gesetze die 
Geometrie derWirklichkeit konstituieren. Will man 
dann nicht annehmen, daß diese Gesetze bereits allen unseren 
Wahrnehmungen zugrunde liegen, also apriorisch sind, son 
dern daß sie selbst Objekte der wissenschaftlichen Forschung 
sind, so könnte jede Geometrie als gewisse Annäherung an die 
„Geometrie der Wirklichkeit“ betrachtet werden und es wäre 
Sache der empirischen Forschung, festzustellen, welche Geo 
metrie die beste Annäherung darstellt. So verstehen wir nun 
auch die schon von Gauß u. a, gemachten Versuche, durch 
Messung die Entscheidung über das Parallelenaxiom herbei 
zuführen. Mag jener Versuch als mißlungen zu betrachten 
sein, weil jedes dabei auftretende Ergebnis verschiedene Aus 
legungen zuließe, so liegt ihm tatsächlich doch der richtige 
Gedanke zugrunde, daß durch physikalische Messungen ein 
mal entschieden werden könnte, ob die Nichteuklidisehe Geo 
metrie oder die Euklidische die bessere Grundlage für die 
physikalische Forschung darstellt. Die moderne Forschung 
dürfte die Entscheidung eher zugunsten einer Nichteuklidi 
schen Geometrie fällen 376a ). 
Von diesem Standpunkt aus wird man die verschiedenen 
geometrischen Systeme nicht als Fiktionen bezeichnen,
	        
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