Full text: Fiktionen in der Mathematik

Vergleich verschiedener geometrischer Systeme 
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sondern besser als Hypothesen, wie es auch E. Study ge 
tan hat. 
Es bleibt uns noch die Besprechung einer eigentümlichen 
Einstellung diesen Systemen gegenüber. 
Wir erwähnten schon, daß der Versuch, durch Messung der 
Winkel eines Dreiecks eine Entscheidung in der Frage: Eukli 
dische oder Nichteuklidische Geometrie? herbeizuführen, als 
mißlungen betrachtet werden muß, da die Voraussetzungen 
für ihn nicht eindeutig feststehen. Das hat nun in neuerer Zeit 
dazu geführt, die Möglichkeit entsprechender Entscheidungen 
auch bei andern Axiomen zu bestreiten und diese lediglich als 
Konventionen zu betrachten. Diesen Standpunkt vertritt 
z. B. H. Poincare. Es muß zugegeben werden, daß, wo die 
Ergebnisse empirischer Forschung, besonders der Physik, 
mathematisch bearbeitet werden, man es mit zwei wesentlich 
verschiedenen Faktoren zu tun hat. Auf der einen Seite legen 
wir ein mathematisches System mit bestimmten axiomatischen 
Voraussetzungen zugrunde, auf der andern sind die Ergeb 
nisse der Beobachtung und Messung schon mit weitreichenden 
theoretischen Voraussetzungen durchsetzt. Stimmen die Er 
gebnisse der mathematischen Bearbeitung mit weiteren Mes 
sungen nicht überein, so kann der Fehler auf der einen oder 
andern Seite liegen. Man kann so in der theoretischen Be 
arbeitung der Physik z. B. sagen, die zugrunde gelegte Geo 
metrie sei nicht geeignet und müsse durch ein anderes System 
ersetzt werden; man kann aber auch annehmen, gewisse Vor 
aussetzungen der empirischen Forschung seien nicht haltbar; 
z. B. die Lichtwege seien nicht gerade im Sinne der Eukli 
dischen Geometrie. 
Diese Sachlage darf nicht verdunkelt werden; aber ob sie 
genügt, die Axiome nur noch als Konventionen zu be 
zeichnen, ist fraglich. Wenn man sagt, die Axiome seien 
Definitionen der entsprechenden Mannigfaltigkeit, so ist 
das offenbar eine andere Sache, Denn dies kann vom Stand 
punkt der reinen Mathematik aus zugegeben werden, obwohl 
es sich, wie früher schon bemerkt wurde, nicht um ganz will
	        
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