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Fiktionen in der Mathematik
Es kann sich hier nicht darum handeln, in eine Einzel
diskussion der Russellschen Untersuchungen einzutreten. Um
aber eine Stellungnahme zu seinen Ergebnissen, besonders
soweit sie von den Ansichten anderer Forscher abweichen, zu
ermöglichen, soll in Kürze das Typische in Russells Auf
fassung hervorgehoben werden;
1. Russell begnügt sich nicht damit, die Reihe der natür
lichen Zahlen als gegeben oder evtl, mit der Behauptung, sie
sei Sache rein willkürlicher Definition, hinzunehmen, sondern
sucht sie selbst erst aus weiter zurückliegenden Daten abzu
leiten.
2. Die Möglichkeit, die Zahlenreihe aus einigen undefinier
baren Grundbegriffen, deren Bedeutung bekannt sein muß,
und einer Anzahl von Grundsätzen abzuleiten, wie es Peano
und Padoa durchgeführt haben, genügt ihm nicht. Denn wenn
man die fünf Peanoschen Grundsätze etwa als implizite Defi
nition der drei Grundbegriffe ansehen wollte, so ist die Fest
legung von Reihen, die jenen Grundsätzen genügen, nicht ein
deutig und die Existenz solcher Reihen nicht verbürgt.
3. Deshalb stellt Russell Definitionen jener Grundbegriffe
auf, aus denen sich das System von Postulaten oder von
Grundsätzen herleiten läßt. Bei diesen Definitionen sollen
keine von den logischen Konstanten unabhängigen Grund
begriffe Verwendung finden, sondern nur rein logische Aus
drücke 391 ). Zunächst wird der Ausdruck der Menge, dann
der der ein-eindeutigen Beziehung, also der Begriff der Ähn
lichkeit von Mengen, eingeführt und mit ihrer Hilfe eine
logische Definition der Zahl gegeben. Die 0 braucht dann
nicht mehr als Grundbegriff behandelt zu werden, denn sie ist
definiert als die Menge, deren einziges Glied die Nullmenge
ist; die Nullmenge aber ist die Menge, „die keine Mitglieder
besitzt“. Der Begriff Nachfolger wird ebenfalls unter
Zuhilfenahme des Mengenbegriffs definiert. Die Grundbegriffe
Peanos sind so nach Ansicht Russells auf logische Be
griffe zurückgeführt und dadurch zu etwas Bestimmtem
gemacht.