Full text: Fiktionen in der Mathematik

Fiktionen in der Mathematik 
Eine wesentlich andere Auffassung des Zahlbegriffs tritt 
uns bei P. N a t o r p entgegen. Daß er den empiristischen 
Standpunkt verwirft, ist bei seiner philosophischen Ein 
stellung wohl verständlich; aber auch mit den hier ange 
führten logischen Theorien der Zahl ist er nur teilweise ein 
verstanden. 
Die Zahl ist ihm das reinste und einfachste Gebilde des 
Denkens, welches die Wissenschaft als exakte begründet hat. 
„Die erste Vorbedingung für das logische Verständnis der 
Zahl ist aber die Einsicht, daß man es bei ihr nicht irgend mit 
gegebenen Dingen zu tun hat, sondern mit reinen Gesetz 
mäßigkeiten des Denkens, d. h. mit reinen Grundbeziehun 
gen, die nicht von den Dingen, auf die sie hernach An 
wendung finden mögen, abhängen und an ihnen erst Be 
stand gewinnen, sondern an sich Bestand haben müssen, um 
bestandhafte Dinge mitaufbauen zu können. Die Zahl von den 
Dingen abzuleiten ist, wenn unter Ableiten Begründen ver 
standen wird, ein offenbarer Zirkel. Denn die Begriffe von 
Dingen sind komplexe Begriffe, in die als einer der unerläß 
lichsten Bestandteile die Zahl miteingeht“ 398 ). „Was heißt es 
aber, daß die Zahl ihren Ursprung im reinen Denken hat? 
Vom Denken als Tun oder psychologischem Vorgang hat die 
Logik nichts zu sagen. Dem Inhalt nach aber ist Denken: 
Setzen von Beziehung, nichts anderes“ 397 ). Eine Beziehung 
fordert Bezugspunkte, Termini, im ursprünglichen Fall deren 
zwei: das, worauf die Beziehung stattfindet, die Grundlage der 
Beziehung und das andere, das als Folgendes gesetzt werden 
kann. Diese Termini bestehen nicht als etwas Absolutes, son 
dern nur in der Relation. 
Diese beiden Termini brauchen nicht mehr zu sein als In 
halte oder Setzungen des Denkens überhaupt, und als solche 
können sie ebensowohl Grundglied wie Gegenglied, Element 
wie Verein von Elementen sein. Das Gegenglied einer Relation 
kann in einer neuen Relation die Funktion des Grundgliedes 
übernehmen usw., dabei braucht die Reihe der Glieder nicht 
schon als gegeben vorausgesetzt zu werden, sondern sämtliche 
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