XXIII
Einleitung.
H. Vaihinger hat in seinem umfassenden Werk: „Die
Philosophie des Als-Ob“ dem Fiktionsbegriff eine sehr viel
seitige Behandlung angedeihen lassen und ihn als fundamen
talen Begriff in die Wissenschaft einzuführen gesucht. Es mag
daher befremden, daß in vorliegender Arbeit der Fiktions
begriff nicht als gegeben und scharf Umrissen vorausgesetzt,
sondern selbst nochmals einer eingehenden Kritik unterworfen
wird. Die Gründe hiefür müssen zunächst dargelegt werden.
Nach H. Vaihinger ist die Mathematik eines der Haupt
anwendungsgebiete der Fiktionen und zur Begründung seiner
Ansicht hat er auch eine große Zahl von Beispielen angeführt.
Prüft man nun diese mathematischen Beispiele genauer, so
zeigen sich bedeutende Unstimmigkeiten. Man hat das Gefühl,
als werde der Mathematik Gewalt angetan, und die feinsinnig
sten Methoden erscheinen in einer Weise mißdeutet, daß der
Mathematiker seine Zustimmung versagen muß.
Sind nun Vaihingers Ausführungen über mathematische
Fiktionen überhaupt nicht haltbar, oder lassen sich die den
Mathematiker störenden Unstimmigkeiten auffinden und be
heben? Diese Frage ist um so bedeutungsvoller, als gerade die
„mathematischen Fiktionen“ im Mittelpunkt der Vaihinger-
schen Erörterungen stehen. Aus ihnen hat er, wie sich an
vielen Stellen scharf nachweisen läßt, die charakteristischen
Merkmale der Fiktionen abgeleitet; stimmt’s bei ihnen nicht,
so scheinen die Grundlagen der ganzen Fiktionstheorie er
schüttert.
Bei dem Versuch, die vorliegenden Schwierigkeiten zu be
seitigen, bietet sich als erste Möglichkeit die, die Gründe der
selben in der philosophischen Fundierung und speziellen Fas
sung des Vaihingerschen Fiktionsbegriffs selbst zu suchen.
Wie jeder Begriff, so ist auch dieser durch gewisse Merkmale
festgelegt und es erheben sich folgende Fragen; Sind diese
Merkmale, die ja selbst wieder begrifflich zu fassen sind, ein-