Fiktionen in der Mathematik
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Ideen zu fassen; und ehe wir sie nicht haben, können wir sie
auch nicht zuordnen.
E. Heine 430 ) und I. T h o m a e 431 ) haben Theorien der
Irrationalzahlen gegeben, die äußerlich mit der Cantorschen
zusammenfallend scheinen. Auch bei ihnen handelt es sich um
Zahlenfolgen ähnlich den Fundamentalreihen, denen ebenfalls
gewisse Zeichen zugeordnet werden. Frege meint aber, für
Cantor sei wohl die Bedeutung der Zeichen das Wesentliche,
für Heine und Thomae dagegen seien die Zeichen alles. Als
Beleg dafür führt Frege folgende Stellen an:
Heine sagt: „Die Frage, was eine Zahl sei, beantworte ich,
wenn ich nicht bei den rationalen positiven Zahlen stehen
bleiben will, nicht dadurch, daß ich die Zahl begrifflich
definiere, die irrationalen etwa gar als Grenze einführe, deren
Existenz eine Voraussetzung wäre. Ich stelle mich bei der
Definition auf den rein formalen Standpunkt; indem ich
gewisse greifbare Zeichen Zahlen nenne, so daß die Existenz
dieser Zahlen nicht in Frage steht.“ Nach Frege wird aber
gerade dadurch die Absicht, die Arithmetik rein von allen
fremden, auch geometrischen, Beimischungen hinzustellen, sie
auf Logik allein zu gründen, verfehlt; denn er meint, wenn
man es nicht verschmähe, sich auf die Greifbarkeit der Zahlen
zu stützen, so könnte man sich auch auf Raumanschauung
berufen.
Thomae schreibt: „Die formale Auffassung der Zahlen
zieht sich bescheidenere Grenzen als die logische. Sie fragt
nicht, was sind und was wollen die Zahlen, sondern sie fragt,
was braucht man von den Zahlen in der Arithmetik. Die Arith
metik ist nun für die formale Auffassung ein Spiel mit
Zeichen, die man wohl leere nennt, womit man sagen will, daß
ihnen (im Rechenspiel) kein anderer Inhalt zukommt, als der,
der ihnen in bezug auf ihr Verhalten gegenüber gewissen Ver
knüpfungsregeln (Spielregeln) beigelegt wird“ usw.
Frege bemerkt, daß Thomae die Arithmetik doch in einen
gewissen Gegensatz zum Schachspiel stelle, wenn er auf die
Dienste hin weise, die sie der Naturerklärung leisten können.