Full text: Fiktionen in der Mathematik

Fiktionen in der Mathematik 
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sieht Natorp in der Form, wie Weierstraß und Cantor die kon 
vergente unendliche Reihe selbst als in sich ebenso bestimmtes 
mathematisches Gebilde, wie die rationalen Zahlen, allem vor 
aus aufstellen und von diesem dann beweisen, wie die Begriffe 
gleich, größer, kleiner usw. Anwendung finden. Dasselbe leiste 
in vorzüglich durchsichtiger und einfacher Weise Pasch 
durch den Begriff der Zahlstrecke. 
Es sei überhaupt kein Grund mehr, zwischen der Reihe und 
ihrem Grenzwert zu unterscheiden; die Reihe stelle selbst als 
in sich bestimmtes Gebilde den neuen Wert dar. Natorp 
glaubt, daß so kein Raum mehr für die vorigen Bedenken 
bleibe. „Indem die konvergente unendliche Reihe in sich ein 
deutig bestimmt und damit zugleich alle Verhältnisse des 
Mehr und Weniger zu jedem gegebenen rationalen Wert (sowie 
der irrationalen untereinander) bestimmbar sind, ist allem 
genügt, was für den rechnerischen Gebrauch des Irrationalen 
erforderlich ist“ 435 ). Das in logischer Hinsicht entscheidend 
Wichtige aber sei, daß hiermit der Überschritt in eine neue 
Wertordnung vollzogen sei. 
Man versteht nicht recht, wie Natorp alle die neuern Dar 
stellungen der Dedekindschen Schnitttheorie, wie sie sich bei 
Holder, Perron u. a. finden und wie wir sie im vorausgehen 
den Wiedergaben, übersehen konnte; denn sie leisten gerade 
das, was Natorp hier von den Fundamentalreihen, von der 
Paschschen Zahlstrecke usw. rühmt, und zwar ohne erst die 
Konvergenz von Reihen, d. h. die Existenz eines Grenzwertes, 
voraussetzen zu müssen. Aber Natorp hat ein ganz anderes 
Ziel im Auge: Er will zeigen, daß es sich beim Irrationalen um 
eine transfinite Eigenschaft handle, wir aber sind der Mei 
nung, daß zur Definition der Irrationalzahl der Unendlichkeits 
begriff nicht notwendig ist. Ob wir mit Pasch die Irrational 
zahl als offene Zahlstrecke, oder mit Holder, Perron u. a. als 
Schnitt dritter Art definieren, das Entscheidende liegt in 
folgendem; 
1. Jedes bestimmte Gesetz, das eine Einteilung 
aller rationalen Zahlen in zwei Klassen von der bekannten Art
	        
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