Full text: Fiktionen in der Mathematik

Fiktionen in der Mathematik 
286 
legitime mathematische Begriffsbildungen sehen können? 
Diese Frage wird nach unserer Ansicht durch den Nachweis 
der Widerspruchslosigkeit der neuen Begriffsbildungen beant 
wortet. Wird sie bejaht, so fragt es sich noch, ob der bereits 
in bestimmter Bedeutung verwendete Begriff der Zahl auch 
auf sie übertragen werden darf oder nicht. Hinsichtlich der 
ersten Frage sollten gerade die Darlegungen dieses Kapitels 
zeigen, daß die Zahlerweiterungen widerspruchsfrei durch 
führbar sind. Wir geben zu, daß in diesen Begriffsbildungen 
so lange Fiktionen gesehen werden konnten, als eine wider 
spruchsfreie Begründung nicht erbracht werden konnte (pro 
visorische Bildungen — Typus C 3 ); dieses Stadium scheint 
uns überwunden. Mit dieser Ansicht befinden wir uns aller 
dings im Widerspruch mit manchen Philosophen, die die 
Irrationalzahlen, besonders aber die imaginären Zahlen, nicht 
als widerspruchsfrei anerkennen wollen. Aber wir können 
auch auf zustimmende Äußerungen von philosophischer Seite 
hinweisen. So sagt P. Natorp: 
„Die Geschichte des Imaginären ist eines der denkwürdig 
sten Zeugnisse für die siegende Kraft des Logischen in der 
Mathematik, zugleich aber für die oft zu einem harten Rigo 
rismus sich steigernde formal-logische Gewissenhaftigkeit 
derselben, die selbst einer so ursprünglich notwendigen, 
darum auch wie mit Naturgewalt sich Bahn brechenden Neu 
schöpfung, wie der der komplexen Zahl, das Heimatrecht im 
Reiche der mathematischen Begriffe so lange bestritt, als eben 
ihre logische Zulänglichkeit nicht überzeugend dargetan wer 
den konnte.“ Natorp schildert dann, wie schon im 17. Jahr 
hundert das Rechnen mit dem Imaginären aufkam, wie ihm 
aber lange das Existenzrecht abgesprochen wurde, wie man in 
ihm eine zur Vereinfachung gewisser Rechnungen zwar nütz 
liche, in sich aber sinnlose Fiktion sah. 
Auch die von Wallis entdeckte Möglichkeit der Dar 
stellung der Punkte der Ebene durch die komplexen Zahlen 
änderte zunächst nicht viel; erst die Erkenntnis, daß allgemein 
eine Rechnung mit verschiedenen Einheiten möglich ist und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.