Fiktionen in der Mathematik
G. Hessenberg sagt daher, es handle sich in diesen Fällen
bei dem sog. „ oo fernen Punkt“ um eine reine façon de par
ier; er betont auch selbst die eminente Zweckmäßigkeit dieser
Umnennung. Was liegt also im Wege, in diesen uneigent
lichen Punkten Musterbeispiele von Fiktio
nen zu sehen?
Hessenberg untersucht zunächst, welchen Einfluß diese neue
Bezeichnung auf die Formulierung der Axiome hat und findet,
daß diese in Gültigkeit bleiben oder nur unwesentliche Modi
fikationen erleiden. Teilweise bleiben sie auch unbeeinflußt,
weil ihr Gültigkeitsbereich nicht auf uneigentliche Elemente
ausgedehnt werden kann, so die Sätze, die vom Abstand zweier
Punkte handeln. In dieser Gültigkeit der Axiome auch für die
uneigentlichen Elemente haben wir nun aber gerade das
Wesentliche zu erblicken. Die Geometrie als rein mathe
matische Disziplin handelt nicht von irgendwelchen anschau
lichen Objekten, sondern von Dingen, die durch die in den
Axiomen ausgesprochenen Beziehungen begrifflich festgelegt
sind; zu diesen gehören auch die Punkte. Entweder müssen
wir nun alle Punkte als Fiktionen bezeichnen, oder aber keine.
Eine wesentlich neue Beleuchtung für den Sachverhalt ge
winnen wir aber, wenn wir uns auf den Standpunkt der pro
jektiven Geometrie stellen. Dann müssen wir alle
Grundgebilde als gleichwertig betrachten, die projektiv aus
einander hervorgehen.
So ist einer geradlinigen Punktreihe Ai ein perspektives
Strahlbüschel Si gleichwertig, diesem wieder eine durch
Schnitt erzeugte Punktreihe A 2 , damit aber auch Ai und A 2 .
Das Element von A 2 , das dem uneigentlichen von Ai entspricht,
ist im allgemeinen ein eigentliches. Man sieht so, daß nicht
bloß die Darstellung der projektiven Geometrie bei der
Euklidischen Terminologie viel schwerfälliger würde, sondern
die ganze Unterscheidung von eigentlichen und uneigentlichen
Elementen sinn- und zwecklos, da jedes endliche Element in
ein uneigentliches übergeführt werden kann.
Wir können aber noch weiter gehen und zeigen, daß im
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