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Das Unendliche in der Mathematik
Schluß seiner Diskussion: „Wenn so der Widerspruch als für
die Begriffe des Unendlich-Kleinen und Unendlich-Großen
ganz unentbehrlich nachgewiesen ist, so fragt es sich aller
dings, ob denn nicht diese ganze Betrachtungsweise eine
höchst entbehrliche Spielerei sei.“ Als Antwort sagt er: „In
der Tat hat es wenig Wert, z. B. beim Verhältnis von Kreis
und Ellipse, gewaltsam den Kreis als einen Spezialfall der
Ellipse zu betrachten, aus dem einfachen Grunde, weil der
eigentliche Zweck, um dessentwillen eine solche Subsumtion
vorgenommen werden soll, nämlich die Ableitung der Kreis
gleichung aus der Ellipsengleichung, unwichtig ist; denn die
selbe Gleichung kann ganz direkt aus der Betrachtung des
Kreises gewonnen werden, und es bedarf jenes Umweges durch
die Fiktion des Unendlich-Kleinen gar nicht.“ Andererseits
meint Vaihinger, genau genommen werde der begriffliche
Sprung durch die Einführung des Hilfsbegriffes des Unend
lich-Kleinen doch nur schlecht verdeckt 446 ).
Wir haben bereits gezeigt, daß man für diese Subsumtion
das Unendlich-Kleine gar nicht braucht und bemerken hier
noch, daß die besprochene Subsumtion durchaus nicht bloß
den Zweck hat, die Gleichung des Kreises aufzustellen, son
dern daß durch sie der Nachweis geführt ist, daß jeder all
gemeine Satz über die Ellipse in sinngemäßer Weise auf den
Kreis angewendet werden kann.
Vaihinger meint nun, es gäbe auch Fälle, wo diese fiktive
Betrachtungsweise mehr als bloße dialektische Spielerei sei,
wo dieser Schleichweg das einzige Mittel sei, um zum Ziele zu
gelangen; das sei schon bei der Berechnung der Kreisfläche
der Fall.
Wir wollen zeigen, daß auch in diesem Fall das Unendlich-
Kleine als widerspruchsvoller Hilfsbegriff höchstens bei
mangelhafter Ableitung, aber nicht bei strenger Durchführung
zur Anwendung kommt, daß daher auch hier nicht von Fik
tionen geredet werden kann. Wir betrachten zunächst einen
Begriff, der in der modernen Mathematik eine ausschlag
gebende Rolle spielt, den Begriff des Grenzwerts.