Fiktionen in der Mathematik
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wir schon im zweiten und dritten Kapitel gezeigt. Hessenberg
sucht nun zu zeigen, daß die Existenz von Mengen, welche alle
formalen Eigenschaften der Menge G besitzen, beweisbar ist,
wenn die Existenz transfiniter Mengen überhaupt zugegeben
wird. Daß für die Existenz dieser Mengen ein logischer Beweis,
der allen Bedenken standhielte, noch nicht erbracht ist, gibt
er zu. Man nehme daher vorläufig am besten den Standpunkt
ein, daß umgekehrt die Existenz der transfiniten
Menge G eine Grundtatsache unserer Erkenntnis
sei, aus der wir schließen, daß der Begriff einer transfiniten,
d. h. einem ihrer Teile äquivalenten Menge keinen Wider
spruch enthalte.
Hessenberg kommt also schließlich auf den axiomatischen
Standpunkt hinaus. Ähnlich liegt die Sache bei den rein
logischen Begründungsversuchen von Frege und
Russell.
So wie Hilbert die Widerspruchslosigkeit der Geometrie er
wiesen hatte durch ihre Zurückführung auf die Arithmetik, so
suchten Frege und Russell die Arithmetik und die Mengen
lehre auf die Logik zu gründen. Diese Versuche haben zweifel
los wertvolle Ergebnisse geliefert.
Russell suchte die Paradoxien nicht nur zu vermeiden,
sondern prinzipiell zu verstehen. Er entwickelte außer dem
logisch einfachsten Typus der Paradoxien noch eine Art voll
ständiges System derselben; die Beherrschung der Para
doxien wurde sein fester Grund. Aber eben die Tatsache, daß
die Paradoxien auch schon in der Logik auftreten, zeigte, daß
durch die Zurückführung der Mathematik auf die Logik allein
keine größere Sicherheit des Operierens erzielt wird. So kam
Russell zu seinem Verfahren des Stufenkalküls, aus
dem aber Analysis und Mengenlehre nicht zu gewinnen waren.
Russell und Whitehead sahen sich daher genötigt, zur
Axiomatik zu greifen, indem sie das sog. Reduzibilitäts-
a x i o m einführten.
Die mathematische Logik erreichte ihr Ziel einer rein logi
schen Begründung der Arithmetik also nicht. Nach P. Ber-