Das Unendliche in der Mathematik. Mengenlehre
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jetzt gewöhnlich die axiomatische Richtung, die sich
an Cantor, Weierstraß, Zermelo u. a. anschließt, als die
„klassische“; ihr Hauptvertreter ist wohl Hilbert. Die
gegnerische Gruppe, die an Kronecker und Poincaré anknüpft,
nennt sich nach Brouwers Ausdruck die „intuitionisti-
sche“; in diesem Lager finden wir unter anderen Brouwer
und Weyl.
H. W e y l 467 ) ging ursprünglich von den Zermeloschen Axio
men aus und suchte den Begriff der „definitenKlassen-
aussage“ genauer zu fassen; das führte ihn zu einer
Reihe von Definitionsprinzipien, die er als A x i o m e der
Mengenbildung derart zu fassen suchte, daß keine
andern Mengen existieren konnten als die, welche durch end
lichmalige Anwendung der in den Axiomen enthaltenen Kon
struktionsprinzipien gebildet werden konnten. Dabei sollte der
Begriff der natürlichen Zahl nicht vorausgesetzt werden. Weyl
sagt selbst, daß ihn dieser Versuch zu immer weitergehender
und immer komplizierterer Formalisierung trieb, ohne daß er
ein endgültiges Resultat erreichen konnte. Erst die Abkehr
vom Konventionalismus gab ihm die feste Über
zeugung, daß die Vorstellung der Iteration, der
natürlichen Zahlenreihe, ein letztes Funda
ment des mathematischen Denkens sei.
Dieser Überzeugung gemäß sucht er in seiner Abhandlung
„Das Kontinuum“ einen Aufbau der Analysis zu entwickeln,
der von den Fehlern und Zirkelschlüssen der seitherigen Ana
lysis frei ist. Er geht aus von den Begriffen „Urteil“, „Sach
verhalt“, „wahres Urteil“ „Eigenschaftssachverhalt“, und
stellt drei wesentlich verschiedene Urteile einander gegenüber:
Eigenschaftsurteile, Relationsurteile, und Existentialurteile.
Die den einzelnen unmittelbar gegebenen Eigenschaften und
Relationen entsprechenden Urteilsschemata sind die ur
sprünglichen, ihnen ist noch die Identität an die Seite
zu stellen. Aus diesen einfachen lassen sich dann zusammen
gesetzte Urteilsschemata ableiten nach bestimmt festgelegten
Prinzipien der Urteilskombination. Weyl gibt