Full text: Fiktionen in der Mathematik

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Fiktionen in der Mathematik 
2. Das Kontinuum als Medium freien Werdens. 
Hier ist der Begriff der reellen Zahl, als einer 
zwar nur approximativ gegebenen Zahl, für 
welche sich aber der Grad der Annäherung 
über jede Grenze treiben läßt, so zu formulieren: 
„Eine reelle Zahl ist eine unendliche Folge von Dualinter 
vallen i, i', i"... von der Art, daß jedes Intervall dieser Reihe 
das nächstfolgende ganz in seinem Innern enthält.“ 
Weyl meint, die erste grundlegende Erkenntnis Brouwers 
sei, daß die durch freie Wahlakte werdende Zahlfolge 
mögliches Objekt mathematischer Begriffsbildung sei. 
Eine einzelne bestimmte unendliche Folge kann 
nur durch ein Gesetz definiert sein; entsteht aber eine Folge 
Schritt für Schritt durch freie Wahlakte, so will sie als eine 
werdende betrachtet sein. 
Repräsentiert das Gesetz cp, welches eine Folge ins Un 
endliche hinaus bestimmt, die einzelne reelle Zahl, so die 
durch kein Gesetz in der Freiheit ihrer Entwicklung einge 
schränkte Wahlfolge das Kontinuum. 
Nach Brouwer ersteht so ein Kontinuum, in welches wohl 
die einzelnen reellen Zahlen hineinfallen, das sich aber selbst 
keineswegs in eine Menge fertig seiender reeller Zahlen auf 
löst, vielmehr ein Medium freien Werdens. Da die 
Brouwersche Theorie zwischen dem Kontinuum und einer 
Menge diskreter Elemente eine absolute Kluft befestigt, die 
jeden Vergleich ausschließt, kann in ihr die Frage, ob das 
Kontinuum abzählbar sei, ernstlich überhaupt nicht auf 
tauchen. 
In der weiteren Entwicklung seiner Theorie, bei der er 
ebenfalls das Prinzip vom ausgeschlossenen Dritten ablehnt 
und an Stelle von Existentialurteilen Konstruktionsprinzipien 
heranzieht, kommt Weyl zu noch radikaleren Konsequenzen 
als Brouwer. 
Nach Weyls Auffassung enthalten Arithmetik und Analysis 
lediglich allgemeine Aussagen über Zahlen und frei werdende
	        
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