Zur Theorie der Fiktionen
auch die wahren Sachverhalte, insofern sie wahr sind,
unter das Nichtseiende fallen; denn wahr sind sie nur, inso
fern in ihnen das transzendente Sollen steckt 98 ). Und ebenso
ergibt sich ihre „irreale“ Natur von seiten des erkenntnistheo
retischen Subjekts. Jeder wahre Urteilsakt besteht als iden
tisch für alle psychischen Subjekte, also als zeitlos, als ide al.
Auch Külpe weist den „idealen“ Objekten eine eigene
Stelle zu neben den „Bewußtseinstatsachen“ (dem „Wirk
lichen“) und dem „Realen“, eigentlich „Existierenden“, dem
bewußtseinsunabhängigen Geschehen. Diese idealen Objekte
sind von dem erkennenden Geiste des einzelnen unabhängig;
sie bilden den Gegenstand der Mathematik und der Wert
wissenschaften.
Wenn auch das ideale Reich dem Seienden, dem Wirklichen,
dem Existierenden entgegengesetzt wird, so wollen seine Ver
fechter es doch nicht dem reinen Nichts zuordnen; es wird ihm
vielmehr ein Bestehen zugeschrieben. Die idealen Gegen
stände werden als auffindbar, irgendwie vorhanden anerkannt;
es kommt ihnen also doch eine Art Sein zu. Yolkelt spricht
von relativer Unwirklichkeit, die doppelt charakterisiert sei:
durch den Gegensatz zum Sein im psychologischen Sinne,
wonach sie unabhängig sind von allen denkenden Subjekten,
allen Akten, allem Erleben und durch den Gegensatz zu allem
ontologischen oder metaphysischen Sein.
Während also Rickert insofern von den Immanenzphilo
sophen abweicht, als nach seiner Ansicht das subjektive Sein
eine transsubjektive Notwendigkeit verbürgt, daß dem Im
manenten transzendente Bedeutung zukommt, weicht er vom
realistischen Standpunkt darin wieder scharf ab, daß er dieses
Transsubjektive allem Sein entgegensetzt, es geradezu als
nichtseiend auffaßt. Es erscheint ihm ein verhängnisvoller
Irrtum der Philosophie, der bewußtseinsimmanenten Welt
eine bewußtseinstranszendente Seinssphäre zu unterbauen.
Ein „transzendentes“ oder anders ausgedrückt, ein trans
subjektives Sein anzunehmen sei überflüssig, sinnlos, wider
spruchsvoll; die Zuordnung der „Bewußtseinsinhalte“ zu
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