Zur Theorie der Fiktionen
44
I. Der naive Wirklichkeitsbegriff. Er umfaßt
1. die Gegenstände der sinnlichen Wahrnehmung,
2. das nicht unmittelbar, aber durch gewisse Wirkun
gen Wahrgenommene.
II. Der wissenschaftliche Wirklichkeitsbegriff.
M. Schlick ist der Meinung, daß auch jeder wissenschaft
liche Wirklichkeitsbegriff die erste Bestimmung des naiven
Wirklichkeitsbegriffs annehmen müsse. Hinsichtlich der zwei
ten stellt er aber mannigfache Abweichungen fest.
A. In den realistischen Systemen zeigt sich das
Bestreben, einheitliche Wirklichkeitskriterien aufzustellen. Da
bei wird entweder versucht, jene erste Bestimmung des naiven
Wirklichkeitsbegriffs der zweiten unterzuordnen, indem man
die Formel prägt: „Wirklich ist, was wirkt“, oder sucht man
das Sein durch das Bestehen von Beziehungen zu charakteri
sieren, was aber M. Schlick nicht für ausreichend ansieht.
Eine andere Richtung nimmt die Dinge als die Bedingungen
möglicher Erfahrungen (vgl. St. Mill), wogegen Kant sagt:
„Was mit den materialen Bedingungen der Erfahrung (der
Empfindung) zusammenhängt, ist wirklich.“
Auch Riehl bemerkt: „Wirklich sein“ und „in den Zu
sammenhang der Wahrnehmungen gehören“ bedeutet ein und
dasselbe.“
M. Schlick meint, in diesen Fassungen trete die Notwendig
keit klar hervor, die Bestimmung des Realen irgendwie an das
unmittelbar Gegebene anzuschließen; es werde damit auch die
Unmöglichkeit einer rein logischen Definition des Wirklichen
richtig zum Ausdruck gebracht 113 ).
Gibt es nun ein charakteristisches Merkmal, das bei allen
diesen Fassungen zu entscheiden gestattet, ob Wirklichkeit
vorliegt oder nicht?
M. Schlick findet dieses charakteristische Merkmal in der
Zeitlichkeit alles Wirklichen.