Zur Theorie
der Fiktionen
c.
Waren die vorausgehenden Darlegungen durch die Über
legung veranlaßt, daß in einer Diskussion des Fiktions
problems zuerst der Wirklichkeitsbegriff scharf zu umgrenzen
sei, so können wir hier, wo es sich um Fiktionen in der Mathe
matik handelt, die Erörterung nicht abschließen, ohne spezielle
Berücksichtigung ihrer Gegenstände. Es kann gleich fest
gestellt werden, daß die Gegenstände der reinen Mathematik
nicht mit den wirklichen oder realen Gegenständen im bisher
dargelegten Sinn zusammengenommen werden können. Wir
haben daher nur die Wahl, entweder den Begriff „wirklich“
weiter zu fassen, so daß die Feststellung „unwirklich“ bei
eventuellen mathematischen Fiktionen noch etwas Wesent
liches aussagt, oder aber an die Stelle dieses ersten Fiktions
merkmals ein anderes treten zu lassen. Wenn Yaihinger von
den echten Fiktionen sagt, daß sich bei ihnen die Abweichung
von der Wirklichkeit zum Selbstwiderspruch steigere, so ist
damit schon das Problem aufgeworfen; aber seine Lösung ist
erschwert durch die Verquickung von Tatsachenfeststellung
mit logischen Verhältnissen.
A. Müller 115 ) beschreitet den ersten Weg; er beanstandet
den Wirklichkeitsbegriff Vaihingers als viel zu eng und stellt
dann vier Gruppen wirklicher Gegenstände auf:
1. Die realen Gegenstände (z. B. der Physik); ihre Wirklich
keitsform ist das zeitliche Sein.
2. Die bewußtseinswirklichen Gegenstände (z. B. der Psycho
logie); ihre Wirklichkeitsform ist das Gegenwärtigsein.
3. Die idealen Gegenstände (z. B. der Mathematik); ihre
Wirklichkeitsform ist das zeitlose Sein, das wir das ideale
Sein nennen.
4. Die Wertgegenstände (z. B. der Logik); ihre Wirklich
keitsform ist das zeitlose Gelten.
Wir wollen keine Untersuchung darüber anstellen, ob dieses
Schema allen Anforderungen genügt, oder ob es zu modi
fizieren wäre; aber wir suchen der Beantwortung der aufge-
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