Full text: Fiktionen in der Mathematik

Zar Theorie der Fiktionen 
sowohl Realität des einzeln genommenen Dinges als auch 
Realität der ganzen Welt, entbehrt wesensmäßig der Selb 
ständigkeit, sie hat kein „absolutes Wesen“, sondern nur die 
Wesenheit von etwas, das prinzipiell nur Intentionales, nur 
Bewußtes, Erscheinendes ist. Husserl meint, durch die Ein 
klammerung der natürlichen Welt und die Neueinstellung 
richten wir unseren erfassenden Blick auf das reine Bewußt 
sein in seinem absoluten Eigensein. Das bleibe als das phäno 
menologische Residuum übrig, es sei eigentlich nichts ver 
loren, aber das gesamte absolute Sein gewonnen, das, recht 
verstanden, alle weltlichen Transzendenzen in sich berge, sie 
in sich konstituiere. 
Außer der reinen Phänomenologie, die erst als neue eide- 
tische Wissenschaft eingeführt werden soll, betrachtet Husserl 
vor allem die mathematischen Disziplinen als eidetische. Wie 
lassen sie sich den andern gegenüber charakterisieren? Nach 
Husserl dadurch, „daß eine endliche Anzahl, gegebenenfalls 
aus dem Wesen des jeweiligen Gebietes zu schöpfender Be 
griffe und Sätze die Gesamtheit aller möglichen Gestaltungen 
des Gebiets in der Weise rein analytischer Notwendigkeit voll 
ständig und eindeutig bestimmt, so daß also in ihm prinzipiell 
nichts mehr offen bleibt“. Eine so charakterisierte Mannig 
faltigkeit nennt Husserl eine „definite“ Mannigfaltigkeit oder 
eine „mathematische Mannigfaltigkeit im prägnanten Sinne“; 
sie hat die ausgezeichnete Eigenschaft, mathematisch erschöp 
fend definierbar 129 ) zu sein. In einer mathematisch-definiten 
Mannigfaltigkeit sind die Begriffe „wahr“ und „formallogische 
Folge der Axiome“ äquivalent, und ebenso die Begriffe „falsch“ 
und „formallogische Widerfolge der Axiome“. Ein Axiomen- 
system, das in rein analytischer Weise eine Mannigfaltigkeit 
in der bezeichneten Weise erschöpfend definiert, nennt Husserl 
ein definites Axiomensystem, jede deduktive Diszi 
plin, die auf einem solchen ruht, eine definite oder eine im 
prägnanten Sinne mathematische Disziplin. 
Husserl fragt nach den notwendigen Bedingungen, denen 
ein materialbestimmtes Gebiet Genüge tun muß, wenn es der 
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