Grundlagen der Y a i h i n g e r s c h e n P i k t i o n s 1 e h r e
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Idee der definiten Mannigfaltigkeit entsprechen soll. Er findet
eine erste Bedingung in der Exaktheit der Begriffs
bildung, die keineswegs Sache freier Willkür und logischer
Kunst sei, sondern hinsichtlich der prätendierten axiomati-
schen Begriffe, die in unmittelbarer Intuition
ausweisbar sein müßten, Exaktheit in den erfaßten
Wesen selbst voraussetze. Während es sich in der Mathematik
um exakte Begriffe, um Idealbegriffe handelt, sind die Begriffe
der beschreibenden Naturwissenschaften wesentlich und
nicht zufällig inexakt und daher unmathematisch.
Die letzten Sätze zeigen, daß Husserl nicht bloß dem Empi
rismus in der Stellungnahme zu den Grundbegriffen und
Axiomen der Mathematik schroff gegenübersteht, sondern
auch dem sog. Konventionalismus. Damit bezeichnen
wir eine Auffassung, zu der die Empiristen häufig ihre Zu
flucht nehmen: Man gibt zwar die apodiktische Gültigkeit der
Axiome zu, betrachtet sie aber nur als Definitionen, die
mehr oder weniger willkürlich gewählt werden können. So
sagt H. Reichenbach 130 ): „Die Frage der mathematischen
Axiome ist geklärt durch die Entdeckung, daß die mathemati
schen Axiome Definitionen sind, d. h. willkürliche Festsetzun
gen, über die es kein Wahr oder Falsch gibt, und daß nur die
logischen Eigenschaften des Systems, Widerspruchsfreiheit,
Unabhängigkeit, Eindeutigkeit, Vollständigkeit, Gegenstand
der Kritik sein können/' Dieser Standpunkt weicht allerdings
vom Vaihingerschen insofern wesentlich ab, als er gerade so
wie Husserl im axiomatischen Aufbau einer mathematischen
Disziplin und in deren Begriffskonstruktionen Widerspruchs-
losigkeit verlangt; aber im Gegensatz zu Husserl entspringen
ihm die Gegenstände der Mathematik nicht aus Wesens-
erschauung, aus Intuition, ihre Existenz wird vielmehr nur
in der formalen Bestimmung der Widerspruchslosigkeit ge
sehen.
H. Poincare bringt das in folgender Weise zum Aus
druck: „Ein mathematisches Objekt existiert,
sobald nur seine Definition weder mit sich