Full text: Fiktionen in der Mathematik

Grundlagen der Y a i h i n g e r s c h e n P i k t i o n s 1 e h r e 
55 
Idee der definiten Mannigfaltigkeit entsprechen soll. Er findet 
eine erste Bedingung in der Exaktheit der Begriffs 
bildung, die keineswegs Sache freier Willkür und logischer 
Kunst sei, sondern hinsichtlich der prätendierten axiomati- 
schen Begriffe, die in unmittelbarer Intuition 
ausweisbar sein müßten, Exaktheit in den erfaßten 
Wesen selbst voraussetze. Während es sich in der Mathematik 
um exakte Begriffe, um Idealbegriffe handelt, sind die Begriffe 
der beschreibenden Naturwissenschaften wesentlich und 
nicht zufällig inexakt und daher unmathematisch. 
Die letzten Sätze zeigen, daß Husserl nicht bloß dem Empi 
rismus in der Stellungnahme zu den Grundbegriffen und 
Axiomen der Mathematik schroff gegenübersteht, sondern 
auch dem sog. Konventionalismus. Damit bezeichnen 
wir eine Auffassung, zu der die Empiristen häufig ihre Zu 
flucht nehmen: Man gibt zwar die apodiktische Gültigkeit der 
Axiome zu, betrachtet sie aber nur als Definitionen, die 
mehr oder weniger willkürlich gewählt werden können. So 
sagt H. Reichenbach 130 ): „Die Frage der mathematischen 
Axiome ist geklärt durch die Entdeckung, daß die mathemati 
schen Axiome Definitionen sind, d. h. willkürliche Festsetzun 
gen, über die es kein Wahr oder Falsch gibt, und daß nur die 
logischen Eigenschaften des Systems, Widerspruchsfreiheit, 
Unabhängigkeit, Eindeutigkeit, Vollständigkeit, Gegenstand 
der Kritik sein können/' Dieser Standpunkt weicht allerdings 
vom Vaihingerschen insofern wesentlich ab, als er gerade so 
wie Husserl im axiomatischen Aufbau einer mathematischen 
Disziplin und in deren Begriffskonstruktionen Widerspruchs- 
losigkeit verlangt; aber im Gegensatz zu Husserl entspringen 
ihm die Gegenstände der Mathematik nicht aus Wesens- 
erschauung, aus Intuition, ihre Existenz wird vielmehr nur 
in der formalen Bestimmung der Widerspruchslosigkeit ge 
sehen. 
H. Poincare bringt das in folgender Weise zum Aus 
druck: „Ein mathematisches Objekt existiert, 
sobald nur seine Definition weder mit sich
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.