Zur Theorie der Fiktionen
III.
Die Grundlagen der Vaihingerschen Fiktionslehre.
Fortsetzung.
Was ist Wahrheit?
R. Schmidt meint, Yaihinger brauchte im vorkritischen
Stadium seiner Fiktionslehre keinen anderen Wahrheitsbegriff
als den hergebrachten der Logik: Übereinstimmung des Ur
teils mit der Wirklichkeit. Anders stehe die Sache mit dem
Wahrheitsbegriff in der fiktionalistischen Wissenschaftslehre.
Er sei herausgefallen und an seine Stelle sei ein besonders
erhöhter Zweckmäßigkeitsbegriff getreten.
Wenn man praktische Zweckmäßigkeit unseres Denkens als
Wahrheit und Abweichung von der Wirklichkeit als Irrtum
bezeichne, dann könne man mit Yaihinger sagen, daß Wahrheit
der zweckmäßigste Irrtum sei 141 ). Die absolute Wahr
heit sei selbst ein Hilfsbegriff, eine zweckmäßige Fiktion.
Mathematische Wahrheiten, wie 2X2 = 4, betrachtet R.
Schmidt als bloße Tautologien, bei denen keine Denkbewegung
mehr in Frage kommt, sondern ein Ruhezustand vorliegt;
Tautologien erkennen nichts, sondern benennen identisch.
Ist dann die Vaihingersche Fiktionstheorie wahr? fragt
R. Schmidt. Er meint 142 ), Yaihinger würde antworten: „Die
einzige fiktionslose Behauptung in meinem System ist die ganz
allgemeine Feststellung der Inkommensurabilität des Denkens
mit dem Sein. Wahr aber im Sinn (der Übereinstimmung mit)
einer adäquaten Abbildung der Wirklichkeit ist weder meine
Einteilung noch meine logische Charakteristik der einzelnen
Fiktionen, auch sie sind Versuche, ein Irrationales zu ratio
nalisieren. Zwischen Fiktion, Hypothese, Figment, Mythus,
Symbol gibt es unendlich viele Übergänge. Auch diese Theorie
ist daher fiktiv, kein Dogma.“ Und später erklärt dann R.
Schmidt 143 ); Alle philosophischen und wissenschaftlichen Sy-
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