I. Kapitel. Die natürlichen Zahlen.
sorgen, daß jeder Menge nur eine nach, diesem Prinzip zu bildende
Zahlform entspricht, um aus der Verschiedenheit der Zahlformen un
mittelbar auf die Verschiedenheit der wirklichen Zahlen schließen zu
können. Als einfachster Weg, um diesen Anforderungen zu genügen,
bietet sich zunächst die Methode dar, neue Zahlformen zu erzeugen,
indem man zu den bereits gebildeten je eine Einheit hinzufügt. Be
trachtet man etwa zehn als die letzte eigentlich gegebene, wirklich
vorstellbare Zahl, so kann man die Zusammenstellung „zehn und eins“
als nächste Zahl einführen und mit einem besonderen Namen, elf, be
zeichnen, alsdann ebenso die Zusammenstellung „elf und eins“ und. ihr
den Namen zwölf geben usw. Es ist klar, daß man mit den nach
diesem Prinzip erhaltenen Zahlformen jede beliebige Menge abzählen
kann, und es ist auch leicht ersichtlich, daß jeder Menge nur
eine derartige Zahlform entsprechen kann. Aber dennoch erweist
sich auch diese Methode zur Bildung symbolischer Zahlformen als
unbrauchbar, weil jeder neue Schritt der Zahlbildung auch einen neuen
Namen erfordern würde. Wählte man lauter independente Namen, so
ließe uns das Gedächtnis bald im Stich. Bildete man aber die Namen
durch Wiederholung etwa des Wortes „Eins“, so wäre bei einiger
maßen großen Zahlen eine solche Bezeichnungsweise noch ungeschickter '
und für den Gebrauch ungeeigneter. Wie schwerfällig sich das Rechnen
mit diesen Zahlformen gestalten würde, darauf werden wir noch in
§ 10 dieses Kapitels verweisen. Wir müssen uns also nach einer
anderen Methode zur Konstruktion symbolischer Zahlformen umsehen.
Da tritt uns die merkwürdige Erscheinung entgegen, daß das
jenige, was wir auf Grund theoretischer Überlegungen fordern, schon
auf früher Kulturstufe von fast allen Völkern, durch die Bedürfnisse
des praktischen Lebens veranlaßt, in mehr oder minder vollkommener
Weise geleistet worden ist. War man heim Abzählen einer Menge
bis zu einer gewissen Zahl, meistens der Zahl zehn, gelangt, so sonderte
man diese Gruppe von zehn Dingen ab und fing beim Weiterzählen
wieder mit der Zahl eins an, bis man abermals eine Gruppe von zehn
beisammen hatte usw., und gab schließlich die Anzahl der Gruppen
und die der noch übrig bleibenden einzelnen Dinge an. Wenn man
zehn solcher Gruppen gebildet hatte, faßte man sie zu einem Haufen
zusammen usw. und nannte dann die Anzahl der Haufen, der Gruppen
und der einzelnen Dinge. 1 ) Durch weitere Anwendung dieses selben
1) Daß auch in unserer Zeit bei wenig kultivierten Völkern diese ursprüng
liche Art des Zählens noch zu finden ist, dafür ein paar Belege. Nach Schrumpf
(Zeitschr. d. Deutschen Morgenländischen Gesellsch. XVI, 463) „müssen hei Völkern
des südlichen Afrika, wenn über hundert gezählt werden soll, immer drei Mann
die schwere Arbeit verrichten. Einer zählt dann an den Fingern, welche er einen
nach dem andern erhebt und damit den zu zählenden Gegenstand andeutet und