VTL Kapitel.
Die komplexen Zahlen.
§ 1. Historische Einleitnng.
Nach Einführung der irrationalen Zahlen sind wir imstande, aus
einer beliebigen positiven Zahl jede Wurzel zu ziehen (siehe Kap. VI,
§ 7 C), und auch zu irgend einer positiven Zahl für jede positive
Basis den Logarithmus zu finden (Kap. VI, § 7 E). Unlösbar für uns
ist aber noch immer die Aufgabe, die Zahl x so zu bestimmen, daß
x in = — a, wo 2n irgend eine gerade Zahl und — a irgend eine
negative Zahl bedeutet; denn die (2n) te Potenz jeder reellen, positiven
oder negativen, rationalen oder irrationalen, Zahl ist positiv. Ja, wir
können eine Gleichung wie x 2 = — 100 auch nicht etwa dadurch zu
einer lösbaren machen, daß wir die gegebenen Zahlen 2 und — 100
durch andere, ihnen beliebig nahekommende ersetzen (vgl. Kap. II,
§ 5 C und Kap. III, § 3 F). Ebensowenig können wir bisher den Log
arithmus einer negativen Zahl für eine positive Basis angeben.
Dementsprechend hielt man das ganze Altertum und Mittelalter hin
durch an der Auffassung fest, daß es Quadratwurzeln aus negativen
Zahlen nicht gebe; von Logarithmen war damals überhaupt noch
nicht die Rede. Noch Cardano bezeichnet 1539 in seiner „Practica
Arithmeticae generalis“ die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl
als „unmöglich“. Derselbe Cardano ist dann aber einige Jahre
später (Ars magna, 37. Kapitel, 1545) der erste, welcher den Mut
hat, mit Quadratwurzeln aus negativen Zahlen zu rechnen, und zwar
ebenso wie mit den sonstigen Zahlen, Er zeigt, daß die unauflösbar
erscheinende Aufgabe, die Zahl 10 in zwei Summanden zu zerlegen,
deren Produkt 40 sei, formal durch die beiden Ausdrücke 5 —15
in dem Sinne gelöst wird, daß, wenn man auf diese Ausdrücke die
gewöhnlichen Rechnungsregeln an wendet und dabei das Produkt
]/—15 • ]/—15 gleich —15 setzt, tatsächlich ihre Summe 10 und
ihr Produkt 40 wird, Cardano operiert hier mit dem Symbol }/—15,
das doch zunächst nichts anderes als ein Zeichen für eine Aufgabe,
eine Forderung ist (nämlich eine Zahl zu suchen, deren Quadrat den
Wert — 15 hat), ohne weiteres wie mit einem Zeichen für eine wirk
lich vorhandene Zahl. Bei dieser Auffassung ist die Mathematik