Klassen folgen, die Rhetorik und die Dialektik. Das wäre das Trivium,
die Unterschule, auf die das Quadrivium mit Arithmetik, Geometrie,
Musik und Astronomie sich aufbaute.
Die sieben freien Künste waren im Mittelalter und bis in die Neu—
zeit herein ein beliebtes Motiv künstlerischer Darstellung. In der goti—
schen Vorhalle des Freiburger Münsters sind sie als Frauengestaälten
mit ihren Attributen aufgestellt, und der Grammatica fehlt die Rute
so wenig, als dem Mönche, der mit dem unaufmerksamen Wolfe seinen
Arger hat. Als Namen für die Schulstufen geben sie keine Ausschließ—
lichkeit des Unterrichtes an, als ob neben, dem Lesen und Schreiben
noch nicht auch Rechnen gelehrt worden wäre. Die Kirche forderte in
früher Zeit, daß die Pfarrer die Kinder unterrichten. Die Aufgabe des
Schulunterrichtes oblag im früheren Mittelalter hauptsächlich Mön—
chen und Klerikern. Das dritte und vierte Laterankonzil schrieb den
Dom— und Kollegiatstiften vor, daß sie Schulen unterhalten und Gram—
matiklehrer anstellen. Am Ende des dreizehnten Jahrhunderts sind
auch Laien als Lehrer an städtischen Schulen nachgewiesen, in Freiburg
sind in Urkunden genannt (Albert, Urkunden und Regesten, Münster—
blätter, I11. Band): 1276, Meister Walther, der Schulmeister ze Vri—
bhurg; 1314, Heinrich von Merdingen, Rector puerorum. An den „deut—
schen“ oder „Schreiber“Schulen wurde Lesen und Schreiben in deut—
scher Sprache, sowie Vorunterricht in der lateinischen Sprache erteilt.
In den Kloster- und Stiftsschulen erstreckte sich der Grammatikunter—
richt auf schwierigere Gebiete: lateinischer Wortschatz, Übersetzen, Aus—
wendiglernen von Psalmen und Hymnen, als Denkübungen Dialoge
und Rätsellösen. Die nächste Stufe, die Rhetorik, betrieb die Lehre
vom schönen, gewählten Ausdruck der Gedanken, den guten Stil, Auf—
satz und freie Rede. Dann begann die Dialektik mit den logischen
Schlüssen, der Begründung der Wahrheiten, der Unterscheidung des
Wahren vom Falschen, der Verteidigung und dem kunstgerechten Di—
sput. Der ganze Unterricht aber war eingestellt auf religiöse Unterwei—
sung und Vorbereitung auf das Studium der Theologie. In dem Lehr—
gedicht „der welsche Gast“ von Thomasin Zirklaere um 1216 (Heidel—⸗
berger Handschrift) ist zu lesen: „Grammatica lert sprechen wohl recht,
Retorica schlait (kleidet) unser Red mit varwe schöne, Dialectica be—
schaidet daz sleht (schlicht); von chrumb, die warheit vom falsch.“
Es ist schon oben verraten worden, daß die Vermutung bestehe, es
könnten in den Frießotdern die Stufen des Triviums dargestellt sein.
Diese Art ihrer Darstellung wäre allerdings ganz allein dastehend. Ein
selbständiger Einfall darf jedoch nicht für unmöglich gehalten werden.
Ob irgend eine Beziehung des Schulunterrichtes zu der Nikolaus—
kapelle als Raum, oder zum hl. Nikolaus als Patron der Schüler zur
Darstellung des Triviums am Eingangstor Anlaß gegeben hat, wird
wohl unbekannt bleiben. Prüfen wir nun unseren Deutungsvorschlag
an den Einzeldarstellungen. Wir beginnen am südlichen Fries des
Durchganges.
1. Die Grammatik
Auf einem Faltstuhl sitzt ein Mönch, der die Rute in der Rechten
über die Schulter legt. Mit der Linken hält er dem mit der Kapuze
bekleideten Wolf, das Buch hin. Der ungelehrige Klosterschüler hält
das Buch mit seiner linken Pfote fest, mit der Rechten den Schreib—
griffel, mit dem er auf Buchstaben zeigen und sie ablesen soll. Aber
er ist nicht bei der Sache. Er wittert Fraß, schaut gierig nach dem hin—
ter ihm stehenden Widder um. Darauf folgt eine zweite Szene: Der
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