Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

zur Theologie, tritt ihm ein gewaltiger Greif entgegen. Dieses Misch— 
wesen aus Adler und Löwe, ein Bild furchtbarer Macht, hat in der 
romanischen Symbolik die gleiche Vieldeutigkeit, wie der Löwe. In 
Dantes göttlicher Komödie wird er als Bild Christi genommen wegen 
der in ihm vereinigten zwei Naturen. Weil aber Christus Jeabst die 
Kirche ist, zugleich die christliche Wahrheit, die christliche Wi senschaft, 
Philosophie und Theologie, müssen wir dort genauer nachsehen 
Purg. XXXI), in welchem engeren Sinne der Greif auftritt. Am über⸗ 
gang von der Philosophie zür Theologie, vom irdischen Wissen zur 
Gotteswissenschaft erscheint der Siegeswagen der Kirche, der vom Greif 
gezogen wird. Der Greif ist hier der Anfuührer; wer sich etwa entgegen— 
stellen wollte, hat es zuerst mit dem Greifen zu tun. Sie ursprüngliche 
Bedeutung des Greifen ist die eines Türhüters, darum vertruf er 
oft den Löwen als Wächter vor Kircheneingängen. Er ift in den Sa— 
gen der Hüter von Schätzen und Geheimnissen. Wer in den vom Grei— 
fen behüteten Bereich eindringen will, muß entweder das Losungs— 
wort kennen und mutig aussprechen, oder er mag den Kampf wagen, 
der gegenüber dieser übermacht aussichtslos ist. Im Sinne Christi 
pricht der Greif: Ich bin das Tor; ich bin der Weg zur Wahrheit und 
zum Leben. 
Kehren wir zum Bildwerke zurück. Der Greif schwingt die Flügel, 
peitscht mit dem Löwenschwanz, er schreitet mit Adlerkrallen gegen den 
jungen Mann heran, hält aber sein Haupt zurück, als wolle er noch 
mahnen und warnen. Der junge Kämpfer geht ihm mutig entgegen, 
hält mit der Linken den großen Herzschild vor fich, hol“ mit dem 
Schwert in der Rechten weit aus zum Schlage. Er ist gerüstet mit dem 
Schild des Glaubens und dem Schwert des Geistes (Eph. 6, 16. 17). 
Er hat sich die nötige Vorbildung angeeignet. Nun will er den Zu⸗ 
gang zum höheren Studium erlangen, sich das höhere Wissen erkämp— 
fen. Es ist ein schwerer Kampf; kein Lehrer steht ihm, wie früher, zur 
Seite, indem er die größere Plage übernimmt, um dem Schüler die 
Arbeit leichter zu machen. Der jünge Mann ist auf seinen Mut und 
seine Ausrüstung angewiesen. (Seine Rüstung ist kein Spielzeug 
mehr: man vergleiche den kleinen Rundschild vorher mit dem großen 
Schilde in diesem Bilde!) Es ist der Kampf um die hohe Wissenschaft. 
5. Uberhebung des Menschengeistes 
Anschließend an den Fries sind an den Kapitellen der Torsäulen 
Bildwerke angebracht. Ihr Inhalt steht in Begehung zum Gedanken— 
gange der Friesbilder. Sie sind Darstellungen aus der Geschichte vom 
aroßen Alexander, wie sie um 1200 allgemein bekannt war. seine 
„Hochfahrt“ und seine Fahrt in die Meerestiefe. 
Nachdem Alexander die ganze Welt durchzogen und bezwungen 
hatte, gelüstete es ihn zu wissen, wie es ober und unter der Well aus— 
sieht. Das Bild am südlichen Kapitell ist zweifellos die Darstellung 
von Alexanders Auffahrt zum Himmel. Der gekrönte Alexander steckt 
bis an den Oberleib in einem kahnartigen Korbe, an den rechts und 
links je ein aufsteigender Greif angebunden ist; fie wenden die Köpfe 
nach oben, nach dem Fraß, hasenähnlichen Tierchen, an den Spitzen der 
Stangen, die des Königs Zande emporhalten. Diese Hochfahrt war 
dem Mittelalter „ein Streben wider die Gottheit“, die Hoffart, sagt 
Bertold von Regensburg, machte Alexander blind. An einem Baseler 
Kapitell wird der Greifenfahrt Alexanders der Sündenfall und der 
Verlust des Paradieses gegenübergestellt. 
Das Bild am nördlichen Kapitell stellt dar, was Alexander in der 
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