Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

schaft. Der Verfasser dieser ikonographischen Arbeit will nur berichten, 
nicht urteilen. Es gilt als gesichert, daß der Marmorsarg in all seinen 
Teilen echt und ursprünglich ist. Die ehemalige Ausstattung mit Bal⸗ 
dachin und Engelfiguren kommt hier nicht in Betracht. Die Reliefbilder 
werden der Hand des Meisters des Bogenfeldes am Fürstenportal zu— 
geschrieben, sind demnach im ersten Drittel des 13 Jahrhunderts ent⸗ 
standen. Die Länge der Seitenplatten beträgt etwa 8. Meter, die Höhe 
etwa 4 Zentimeter, die Breite der Bildflaͤchen an den Schmalseiten 
etwa 70 Zentimeter. Auf der südlichen Längsseite sind zweir weibliche 
Gestalten, daneben ein leerer Raum; es ist nicht anzunehmen, daß hier 
ein Bild entfernt worden sei. Die nördliche Seite zeigt ebenfalls zwei 
weibliche Figuren, daneben eine unbestritten männliche, zu der auf der 
südlichen Seite kein Gegenstück gefordert war. Die uͤngefähre Gleich⸗ 
egung der zwei Frauen beiderseits hebt deren Zusammengehörigkeit 
hervor. 
Die Bildausdeutung 
Wir haben keinen Grund, vorauszusetzen, daß „das inhaltliche Pro⸗ 
gramm kein geschlossenes“ sei. Rätselhaft ist es um so mehr, je größere 
Schwierigkeit man sich selbft bereitet, je kompilierter und kompligzierter 
die Gedanken sind, die man hineindeuten will. Die Bildsprache der Ro⸗ 
manik sagt nichts anderes aus, als was fie andeutet; bleiben wir bei 
der Sache, beim Wortlaut. 
Die Ankündigung des Todes, die Kardinaltugenden, der allgemein 
als solcher benannte Flußgott und zuletzt Johannes der Täufer, das 
sind die Bilder, die Tatsachen, an die wir uns zu halten haben! 
Die Todesbotschaft 
Der Papsft liegt quf dem Krankenbett in ärmellosem Nachtgewand. 
Ein Engel erscheint ihm, der Bote Gottes. Eine Rolle in seiner Linken 
deutet an, daß er eine Botschaft überbringt. Der ausgestreckte Zeig— 
finger der rechten Hand besagt in der romanischen Gebärdensprache, daß 
der Redner Aufmerksamkeit verlangt. Hier, im Rahmen des Gesamtbil⸗ 
des und angebracht am Monumentalsarge, kann der Inhalt der Bot— 
schaft kein anderer sein, als die Ankündigung des baldigen Todes. Der 
Papst hört die bittere Kunde mit sichtlicher Gemütsruhe an, denn in sei⸗ 
i Hergzen ist schon das Paradies, seine Seele lebt schon im Himmel⸗ 
reich. 
Die Kardinaltugenden, das Charakterbild 
Die weiblichen Gestalten auf den Längsseiten des Sarges sind durch 
die ungefähre Gleichsetzung der Paare als zusammengehörig erkennbar 
gemacht; so mußte an der Südwaänd gegen Westen hin ein Leerraum 
übrigbleiben. Die romanische Plastik war auf strenge Symmetrie nicht 
erpicht. Durch die Beigaben sind die Allegorien verständlich und können 
gar nicht anders verstanden werden, als wie sie unzähligmal in der 
christlichen Kunst auftreten. Es sind die vier Kardinaltugenden. 
FJortitudo, Starkmut: ihr Attribut ist der Löwe, der hier gegeben ist 
im Samsonmotiv, da ihm die Stärke den Rachen öffnet und zerreißt. 
Prudentia, Klugheit, wird oft mit Schlangen dargestellt (Schlange — 
draco), oft ist ihr Antlitz mit einem Schleier verhüllt, hier trägt sie ein 
Kopftuch, sie gibt sich nicht preis, kennt keine Hoffart, hält den Vers ucher, 
den Adee von sich ab, indem sie den Hals des Drachen ergreift und zu⸗ 
rückdrängt. 
Justitia, Gerechtigkeit, erscheint wie gewöhnlich mit Waage und 
Schwert, das hier in der Scheide steckt, wie die mittlere, starke Rippe auf 
dem Schwerte wohl andeutet; dauft wäre die Besonnenheit angedeutet 
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