Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

Büßers, eines „Adam“. Den gm Aschermittwoch ausgetriebenen Bü— 
hern war für die Bußzeit das Betreten der Kirche verboten. Diese Ab— 
sperrung des Eingangs bringen die zwei einander gegenüberliegenden 
RWwen, die mit dem Staufengeschlechte gax nichts zu tun haben, zum 
Ausdruück, indem sie ihre Vorderpranken beiderseits zusammenhalten; 
fie lassen keinen durch. 
Sstlich von der rechteckigen Umrahmung des besprochenen Tores, 
gleich nebenan, ist eine Kreuzigungsgruppe in die Kirchenwand einge— 
lafsen, Christus am Kreuz, in späterer Ausführung als dieselbe Gruppe 
im Bogenfeld des Hauptportals, sie zeigt schon den übergang zur Lei⸗ 
densdarstellung der Gotik. Unter dem Kreuze steht eine mit einer Kapu— 
zenkutte bekleidete Gestalt; die Kapuze ist über den Kopf gezogen. Die 
Linke ift in den Kuttenschlitz eingesteckt; die Rechte hängt vorne herab 
und hält einen Teller, in dem Münzen liegen. Daß dieser Mann nicht 
zur historischen Darstellung der Kreuzigung gehört, ist sehr deutlich ge⸗ 
macht durch den mächtigen Kreuzuntersatz, unter dem die Gestalt steht. 
Sie hängt nicht, wenn auch ihr die Fußstütze fehlt. Die Falten am Halse, 
vo Kutte und Kapuze zusammengehen, wird man für den Strick des ge— 
hängten Judas halten, sobald man diese Erklärung beabsichtigt. Es war 
ber kein Judas und es gibt keine Kreuzigungsgruppe mit Judas, un⸗ 
lerm Kreuze hängend. Dagegen findet sich sehr häufig unterm Kreuze 
der sündige Stammvater Adam, entweder in ganser Gestalt oder we— 
nigstens Adams Kopf, und Gebeine. Adam aber nannte man auch den 
Buͤher, der ausgeschlossen vor der Kirche stand und bettelte. Auch dieser 
Adam wartete aͤuf Erlösung. Wir sehen also unter dem Kreugze einen 
Adam — öffentlichen Büßer, vielleicht denjenigen, der zur Herstellung 
diefer Kreuzigungsgruppe Almosen gesammelt hat. 
An der Westfront enthält das Bogenfeld der südlichen Seitentüre in— 
mitten die Eitzfiguren eines Bischofs mit Krummstab und des hl. Petrus 
mit Schlüssel. Petrus hat keine Patronatsbeziehung zur St. Johannes⸗ 
kirche. Die Figur des geistlichen Würdenträgers kann ohne Bezug auf 
die Geschichte der Johanneskirche als namenlose Repräsentation ge— 
tommen werden. Im Grund des Bogenfeldes, schwach hervortretend, 
ist neben dem Bischof die Schere, neben Petrus ein Adler, letzterer stark 
an heraldische Form erinnernd. Doch als Wappen sind beide Reliefdar— 
ftellungen nicht anzusehen, da sie der schildförmigen Umrahmung ent—⸗ 
hbehren. Bleiben wir beim Theima der Bußdisziplin, dann bedeutet die 
Schere die Buße; der Kopf ist nicht mehr zwischen den Klingen, er ist 
enironnen; der aufsteigende Adler aber bedeutet die erlöste Seele, die 
Wiederaufnahme des armen Sünders, „dessen Jugend wie die des Ad⸗ 
lers (Phönixs erneut worden ist“ (Psalm 102 [103], 5). Petrus vertritt 
die Schlüsselgewalt, der Bischof die ausübende Gewali. Es ist anzuneh— 
men, daß dieses Tor der Wiederaufnahme der Büßer gedient hat, die 
durch das Seitentor der Südwand ausgetrieben worden waren. Die 
große Zahl der fünf Eingänge der Johanneskirche ist immer aufgefal⸗ 
len. Das Hauptportal und die einander gegenüberliegenden Chortüren 
hätten genügt. Darum dienten wohl die zwei Bußtuͤren ihrem Zweck 
oder der entsprechenden Symbolik in volkstümlich-kirchlichem Erinne— 
rungsspiel, ähnlich wie im obenerwähnten Halberstadt. 
Auch im Bogenfelde des Hauptportals ist Christus am Kreuze, hier 
mit der Königskrone, mit den Begleitfiguren Mariä und Johannes 
d. Es. in hohem Relief dargestellt, daneben südlich ein Baum, nördlich 
ein typischer Weinstock in flacher Ausarbeitung. Auf dem obersten Ge⸗ 
zweige sitzt beiderseits ein Vogel; der auf dem Weinstock ruhende hält 
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