Züricher Relief doch nicht gemeint sein. Auch nicht ein König oder Kai—
ser der damaligen Gegenwart oder neuen Zeit; ganz anachronistisch
wäre die Annahme einer Erinnerungstafel an den feierlichen Einzug
eines Kaisers in Zürich. Doch muß eine Beziehung vorliegen zu Zürich
und den Kirchenheiligen, auf die der Kaiser zureitet. Das sind die nim—
bierten, die Martyrerpalme tragenden Gestalten der heiligen Geschwi—
ster Felix und Regula, Genossen des hl. Mauritius, die nach der Üüber—
lieferung auf dem Baugrunde des Großmünsters ihre Grabstätte ge—
funden haben. Diese Heiligen sind aber auffallenderweise vom nahen—
den Kaiser ab-, vielmehr sich gegenseitig zugewendet, in lebhafter Un—
terhaltung, wie der Redegestus der hl. Regula zeigt. Es kann sich also
nicht um einen erzählten Vorgang, einen geschlossenen Inhalt handeln,
sondern sowohl der Reiter, als auch die Heiligen zeigen etwas Geson—
dertes und doch zum anderen Bezügliches an.
Nach dem babylonischen, persischen und griechischen Weltreich muß
hier die Andeutung des römischen Reiches vorliegen. Im Churer Dom
ist das römische Reich am (ebenfalls) nördlichen Pfeiler beim Chorauf—-
gang durch einen zur Seite blickenden Adler mit ausgebreiteten Flü—
geln angezeigt. Die römisch-deutschen Kaiser betrachteten sich als un—
mittelbare Rechtsnachfolger der Cäsaren im Besitz des Imperiums
nach göttlichem und menschlichem Rechte (Endres). Nach mittelalterli—
cher Auffassung dauert das antike römische Weltreich im deutschen
Kaiserreich fort. Um dieses römische Reich —— darzustellen, ge⸗
nügt das Bild eines Kaisers und des Reichsadlers. Als Symbol
braucht dieser Kaiser keinen Namen. Nachdem aber hier die vorherigen
Weltreiche durch Szenen aus dem Leben ihrer berühmtesten Könige
dargestellt worden sind, darf angenommen werden, daß es sich auch hier
um einen Vertreter des römisch-deutschen Reiches handle, dessen Name
im Mittelalter, vor 1200, schon mit Sagen umsponnen war. Und eines
Kaisers, der mit Zürich Beziehung hat. Will so diese Reiterfigur durch—
aus getauft sein, so sei es auf den Namen Kaiser Karl der Große. Er
galt nach Züricher überlieferung als Begründer oder Wohltäter des
neugegründeten Chorherrenstiftes Großmünster; Reliquien des Kai—
sers wurden 1233 aus Aachen hieher gebracht, weshalb ihm ein Altar
gestiftet war. Wie noch die Spätzeit diesen Kaiser in Ehren hielt, be—
weist das Bild des thronenden Kaisers unter einem gotischen Balda—
chin an der Südseite des dritten Geschosses des südlichen, nach dem Kai—
ser stets Karlssturm genannten Turmes.
Der Zyklus der Weltreiche wird eingeleitet durch die Anzeige des
Judenvolkes, das für seine Treulosigkeit unter jebdem der vier Welt—
reiche seine Schuld büßen mußte. Die ihm gewidmete Tafel ist, nach
Untergang hin, vom Chor, von Christus, und vom Laienschiff, dem
christlichen Volke abgewendet.
Die Darstellung des christlichen-deutschen Reiches, das erst gegen das
Ende abgelöst wird durch die Herrschaft des Antichrist, bildet den Ab—
schluß des lückenlosen Zyklus.
Es sei noch nachgetragen, daß die „kranichartigen“ Vögel an den
Schmalseiten des Kaiserreliefs sinngemäß als Adler anzusprechen sind.
Die Bildwerke an der Westfront Uund am Nordturm
Am Westfensterfuß ist nach Norden hin ein Bildwerk angebracht,
das an den Jäger und Hornbläser des Nordportals erinnert, dem Jä—
ger an der Nordostecke des Kreuzganges sehr ähnlich ist. Die Ausfüh—
rung ist wirklichkeitsnäher. Nicht mehr auf Pfosten, sondern auf Wurzel—
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