Die Sprache des Sockels
Unsere Aufmerksamkeit wendet sich unwillkürlich dem Wege zu, auf
hbem der Reiter vorüberzieht. Das ist der Sockel, dessen merkwürdige
Zier nicht wie ornamentale Spielerei, sondern wie ein Bilderrätsel
dugieht Der Sockel ist unbestritten gleichzeitig und für diesen Reiter
geschaffen worden. Ein Gesimsblock, der wie eine Brücke auf zwei Pfo—
sten ruht, zeigt den We des Reiters an. Er ist dicht bewachsen mit Blät—
lern, zwischen denen Rosen blühen. Die Rose deutete in symbolischer
Spraäche Angenehmes, Liebesfreude, Sinnengenuß an, den u alte
Haus⸗ und Straßennamen verblümt (sub rosa) anseigen, wie Rosen⸗
wirtschaft, Rosenau, Rosengarten, Rosenhalde, Rosental. Der Weg des
Reiters führt durch die schöne Welt mit ihren Freuden.
Die Stütze linkerhand ist gestaltet wie ein nackter, ungefüger Stein,
der nach rechts hin eigentümlich ausladet; das gleicht einer zum Ab—
grund abfallenden Felsenwand. Die rechte Stütze ist ganz verhüllt durch
ein Akanthusblatt, in dessen unterem Teil ein Dämonengesicht einge—
arbeitet ist. Dieser Pfosten zeigt keine Tragkraft.
Was ist der Inhalt dieser gegensätzlichen Bilder? Der Mundus, die
liebe schöne Well verlockt auf blumige Au, lustversprechenden Pfad, der
aber von festem Felsengrund in den durch Pflanzenwuchs verdeckten
Abgrund führt; da lauert die Gefahr, der Unterweltsdämon, der sein
Opfer in den Abyssus, den Hades hinabzieht. Der Gegensatz der beiden
Stützen spricht deutlich und kann nicht unverstanden bleiben.
ZDer Unterbau des Reiterbildes gehört untrennbar zum Plan und
Zweck des Ganzen, er stammt aus gleicher Zeit, die die ursprüngliche
Bildabficht kannte, er ergänzt den Bildinhalt und bestätigt unsere Er—
klärung des Reiters, dieses Warnbildes.
Lösungdes Rätsels
Der fürstliche Reiter ist demnach der Mundus, die Welt als Jurst
der Fürst der Welt. Er ist eine bildliche Darstellung zu der Bibelstelle:
Transit figura huéus mundi, vorüber geht die Gestalt dieser Welt. Er
verkörpert die Schönheit und Vergänglichkeit der Welt. Der Sockel ent—
hält die Warnung, fich von der Eitelkeit der Welt blenden zu lassen und
an ihr die Seele zu verlieren. Den Sinn des Bildwerkes trifft der aller—
dings erst im fünfzehnten Jahrhundert literarisch nachweisbare, aber
auf jenes Apostelwort zurückgehende Spruch: Sie transit gloria mundi,
so geht vorbei die Herrlichkeit der Welt.
Schrifttum:
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Leipzig, 1905
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Busch Karl, Ravenna, Die Kunst dem Volke, Nr. 86, München, 1988
Dehio Georg, Geschichte der deutschen Kunst, 1. Bd., Berlin, 1919
Fastenau Jean, Die romanische Steinplastik in Schwaben, Eßlingen, 1907
Futterer Ilse, Zürich, Kunstführer, Augsburg, 1928
Zamann Richard, GEeschichte der Kunst, Berlin, 1938
Hampe-Lutze, Nürnberg, Berühmte Kunststätten, Bd. 82, Leipzig, 1934
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