Full text: Die geistige Botschaft romanischer Bauplastik

NMehmen wir nun einmal an (nach Seelgen, S. 4): „Die auffallende 
Tatsache, daß der Reiter eine Krone mit nur zwei Zacken trage“, sei ur— 
sprünglich und eine beabsichtigte Andeutung, so weist sie nicht eindeutig 
nach Thüringen. In Handbüchern und Nachschlagewerken findet sich die 
Angabe: Zwei ist auch Sinnbild der Uneinigkeit, der Gegensätzlichkeit, 
des Vergänglichen. Denken wir noch an die Begriffe: Zweifel, 8Zwie— 
spalt, Zwietracht, Zwiefaltigkeit. Dann könnte ja der Reiler inn der 
Zweizackenkrone ganz mit Recht als Mundus, als Fürst der Welt, der 
zwiespältigen Welt, die gut aus der Hand des Schöpfers hervorge— 
gangen, durch die Sünde, Mißbrauch und Anbetung erst schlimm und 
verderblich geworden ist, erkannt werden. Ein Beispiel: Die mittlere 
Kopfkonsole am romanischen Vorbau von St. Stephan in Wien, zwi—⸗ 
schen den Vertretern der sechs Weltzeitalter, stellt den Fürsten der Welt 
dar. Wie in Worms vor der gekrönten Frau Welt ein Ritter kniet, um 
sich ihrem Dienste zu weihen, so liegt in Wien zur Rechten des Herrn 
der Welt ein Anbeter auf allen Vieren und schwört beim Barte ewige 
Gefolgschaft; zur Linken aber empfängt der Sklave der Welt seinen 
Lohn, ein Löwe zerreißt ihn, der Teufel holt ihn. Beachten wir, ange— 
regt von Dr. Seelgen, die Kronne dieses Fürsten der Welt: sie zeigt uüͤr— 
sprünglich und gut erhalten (nach Abbildung bei Tietze) zwei Zacken 
(rechts und links). Die Blattform der Zacken gleicht fast Tierohren. 
Diese Skulpturen am Vorbau sind wie die des Riesentores stiliftisch be— 
einflußt von den Bamberger Werkstätten, inhaltlich möglicherweise von 
Bischof Ekbert, der 1236/37 bis zu seinem Tode in Wien verweilte (No— 
votny, „Die romanische Bauplastik in Ssterreich, S. 42). So könnte die 
Idee, den Fürsten der Welt an der Westfassade anzubringen, auf den 
zuerst für eine Außenwand bestimmten Reiter von Bamberg zurückzu— 
führen sein, dessen Haupt die Wiener Steinmetzen sichtlich aber schlecht 
wiedergaben und dazu noch entstellten. 
Verweilen wir noch bei der Zahlensymbolik. Im Dom zu Chur, am 
Schiffpfeiler gegenüber der jetzigen Kanzel, verheißt Gott den Stamm— 
eltern den Erlöser. Adam kniet vor dem Herrn. Eva hält einen Zweig 
mit drei Sprossen mit je einem Dreiblatt aufrecht in der Hand. Links 
oben kommt ein Dreisproß herab. An der Bestienfäule in der Gruft des 
Freisinger Domes sehen wir eine bisher uͤnerklärte Halbfigur, ein 
Weib darstellend, die eine zweiteilige Blume hält. Auch hier erfcheint 
von links oben eine ähnliche Blume, hier zweiteilig wie die in der Hand 
des Weibes. Beachten wir in Chur die heilige Zahl Drei, in Freising 
die unheilige Zwei. Dort ist der von Gott verheißene Erlöser gemeint, 
hier der Antichrist, der dem Weltuntergang pangeht. Daß die Drachen⸗ 
kämpfe an der Freisinger Säule nach germanischen Vorstellungen die 
Schrecken des Weltendes bedeuten, ist allgemeine Annahme. Im nörd— 
lichen Fries des Riesentores in Wien erscheint der Antichrist im Nar— 
renkleid, vom Teufel am Halsstricke festgehalten zwischen den Vorzei— 
chen des Weltgerichts. 
Um die Taufe des Reiters von Bamberg wmöglichst feierlich zu ge— 
stalten, wurde auch dem Baldachin besondere Bedeutung zugedacht, als 
deute er hin auf „gottgegebene Autorität und unvergängliche Würde 
edlen Führertums“ (Seelgen, S.8). Auch Adam und Eva an der Adams-— 
pforte, auch die fürstlichen Verführer in Freiburg, Straßburg und an 
St. Sebald in Nürnberg sind, ebenso wie Throne und Himmelbettstatten 
mit Baldachinen gegen Regen und herabfallenden Schmutz vorsorglich 
geschützt. Schließlich erkannte man im Zusammenhalt mit dem Sockel 
eine architektonische Zier in der Baldachinbekrönung. Weiter sagt er 
nichts aus, wenn nicht besondere Wahrzeichen daran angebracht sind. 
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