Full text: Theorie der Mikrometer und der mikrometrischen Messungen am Himmel

54 
Fadenmikrometer. 
Bei allen diesen verschiedenen Typen tragen der feste Rahmen und der 
bewegliche Schlitten, bezw. beide Schlitten einen oder auch mehrere feine 
Spinnenfäden, welche senkrecht zur Bewegungsrichtung stehen, und ausserdem 
der erstere oder der ihn ersetzende Schlitten einen oder mehrere Querfäden. 
Die mittleren Fäden eines jeden Systems sind in der Regel so angeordnet, dass 
sie sehr nahe durch die Rohrachse gehen oder bei einer gewissen Stellung des 
Schlittens oder des ganzen Gehäuses in sie gelangen. 
Die Fäden, mit denen seit Anfang des Jahrhunderts und nach einem zuerst von Fontana 
( 1775 ) gemachten Vorschlag die Mikrometer versehen werden, sind die Fäden unserer gewöhn 
lichen Kreuzspinne und werden dem Cocon entnommen, mit welchen sie ihre Eier umspinnt. Sie 
haben vor allen anderen Fäden den grossen Vorzug, dass sie innerhalb desselben Cocons von 
genau gleicher Dicke sind, dagegen von Cocon zu Cocon innerhalb so weiter Grenzen variiren, 
als es für den jeweiligen Zweck erwünscht sein kann. O. Struve benutzte in dem 15 zölligen 
Refractor der Pulkowaer Sternwarte Fäden von nur 5'3 p. Dicke, welche aber im Laufe der 
Zeit durch Ansetzen von feinen Staubtheilchen bis auf das doppelte anwuchs; die Fäden 
im Mikrometer des 18 zölligen Strassburger Refractors haben eine Dicke von rund 10 p.. Sehr 
feine Fäden erhält man aus dem Spinnengewebe selbst oder wenn man das vom Spinnen müde 
Insect längs eines Stäbchens laufen lässt und es durch kleine Erschütterungen nöthigt, sich an 
einem Faden herabzulassen. Diese Fäden sind aber nicht cylinderförmig, sondern eben oder 
auch gedreht und überhaupt unregelmässig, und stehen daher für den Gebrauch der Astronomen 
den Coconfäden nach. Der praktische Astronom thut daher gut, um für alle Fälle versorgt zu 
sein, eine Anzahl derartiger Cocons, welche man in hölzernen Schuppen, unter Eisendächern 
u. s. w. findet, sorgfältig aufzubewahren, nachdem die Eier durch sanftes Klopfen daraus ent 
fernt worden sind. Die Spinnenfäden sind stark hygroskopisch, ein Umstand, welcher für ihre 
Anwendung nicht hinderlich wird, wenn man beim Aufspannen auf den Rahmen darauf Rück ■ 
sicht nimmt. Es möge hier kurz das Verfahren angegeben werden, unter der Voraussetzung, 
dass auf den einander gegenüberstehenden Rändern des Rahmens oder Schlittens bereits Striche 
vorgezogen sind, welche die Lage der Fäden bestimmen und zugleich als Rillen dienen, um 
sie aufzunehmen. Man befestigt den Rahmen auf einem passenden Holz- oder Drahtgestell 
derart, dass die Ränder frei vorstehen. Hierauf zupft man aus dem Cocon einen Faden Von 
geeigneter Länge und befestigt, nachdem man sich durch eine Lupe überzeugt hat, dass er 
keine Verdickungen oder Knoten hat, an dem einen freien Ende (mittelst Wachs) ein kleines Blei 
stückchen, und ein ebensolches an dem zweiten Ende, worauf man den Faden vom Cocon 
abtrennt. Indem man ihn nunmehr an dem einen Bleistückchen hält, lässt man das andere 
langsam herunter, bis es frei hängt, taucht den Faden in seiner ganzen Länge in ein mit Wasser 
gefülltes Gefäss und legt ihn darauf behutsam an der betrefienden Stelle über den Rahmen, 
wobei man, wenn nöthig, mit einer Nadel nachhilft, damit er genau in die Rillen zu liegen 
kommt. In diesem Zustand hoher Spannung wird der Faden durch Schellack, den man mittelst 
eines zugespitzten Hölzchens aufträgt, befestigt; nachdem der Schellack vollständig getrocknet 
Ist, werden die Enden abgeschnitten. Ist die Operation gut ausgeführt, so darf man sicher sein, 
dass der Faden auch bei dem höchsten Feuchtigkeitsgrade der Luft straff bleibt. Das mehr 
fach angewandte Verfahren, den Faden an den Schenkeln eines Zirkels zu befestigen und 
mittelst derselben zu spannen, muss durchaus verworfen werden. Damit die beweglichen Fäden 
frei an den festen Fäden vorübergehen, müssen die Ebenen, in denen die beiden Systeme liegen, 
einen gewissen Abstand von einander haben, welcher jedoch auf ein Minimum beschränkt 
werden muss, damit keine merkliche Focaldifferenz entsteht. Diese Regulirung geschieht meist 
mittelst einer Correctionsschraube, welche den beweglichen Schlitten höher oder niedriger zu 
stellen erlaubt; ist derselbe einmal in die richtige Lage gebracht, so wird man selten Veran 
lassung haben, etwas daran zu ändern. Dagegen kann es bei dem sehr geringen Abstand 
beider Fadenebenen (von nur einigen Hunderttheilen eines Millimeter) Vorkommen, dass der 
ungestörte Vorübergang der Fäden durch feine Staubkörnchen, die an dem einen oder anderen 
Faden haften, verhindert wird. Solche Verunreinigungen können leicht durch Blasen mit dem 
Mund oder mittelst eines Gummiballons, oder falls dieses nicht ausreicht, durch sanftes Herab 
fahren an dem Faden mit einer ganz weichen Flaumfeder beseitigt werden. Natürlich ist hier-
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.