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Vorläufer von Leibniz und Newton
Darstellungsform, indem sie im Anschluß an Vieta (1540—1603),
der hierin als Vorgänger Descartes' zu betrachten ist, die geome
trischen Gebilde ins Analytische übersetzten.
Eine äußerst fruchtbare Tätigkeit entfaltete in England Wallis
(1616—1703), der sich vielleicht am weitesten von der Strenge der
griechischen Geometer entfernt. In seiner „Xritürnatiea infinitorum“
(1655) verwendet er mit großer Kühnheit Jndnktions- und Analogie
schlüsse, an die man sonst in der mathematischen Wissenschaft nicht
gewöhnt ist.
Wenn auch der Gegenstand, den Wallis behandelt, wie bei seinen
Vorgängern die Bestimmung von Flächen- und Rauminhalten ist.
so unterscheidet er sich doch von ihnen durch das ganz ausgesprochene
Hervortreten der rechnerischen Seite. Er schreibt eine ^.ritümotion
infinitorum.
Probleme, die, wie wir wissen, mit der Differentialrechnung
zusammenhängen, sind das Tangentenproblem und das Problem der
Maxima und Minima. Sie sind lange vor der Erfindung der Diffe
rentialrechnung in speziellen Fällen behandelt worden.
Es ist bekannt, daß schon die Griechen die Tangenten verschiedener
Kurven konstruiert haben. Torricelli und Roberval lieferten eine
nach ihrer Meinung allgemeine Tangentenmethode auf kinematifcher
Grundlage?) In vollster Allgemeinheit konnte aber das Tangenlen-
problem erst nach der Erfindung der analytischen Geometrie durch
Descartes (1596—1650) behandelt werden. Descartes selbst be
zeichnet es in seiner Ooomotris (1637) als das nützlichste und all
gemeinste Problem der Geometrie. Freilich ist Descartes' eigene
Lösung dieses Problems, bei der er sich eines die Kurve berührenden
Kreises bedient, nicht sehr brauchbar.
Fermat entwickelte eine Methode der Maxima und Minima und
eine Tangentenmethode, wobei er mit einem unendlich kleinen Inkrement
der unabhängigen Veränderlichen operierte. Auf Grund dieser Tatsache
haben sogar französische Mathematiker Fermat als den Erfinder der
Differentialrechnung bezeichnet (z. B. La place).
Der berühmte holländische Mathematiker und Physiker Huygens
(1629—1695) kannte die Arbeiten von Fermat und hat sich mit der
Weiterführung und strengeren Begründung seiner Methode beschäftigt.
1) Sie lösten mit Hilfe ihrer kinematischen Betrachtungsweise auch andere
Aufgaben, z. B. gelang Roberval die Rektifikation der Zykloide.