98
Historische Übersicht
Da, wie wir wissen, v die Richtungskonstante der Tangente ist,
so wird , ZF
dv = dx — v dx,
also gerade das, was wir jetzt das Differential von v nennen.
Leibniz ging 1676 als Vorstand der herzoglichen Bibliothek nach
Hannover. Dieses neue Amt und seine politische und philowphische
Tätigkeit nahmen ihn stark in Anspruch. Er war aber doch immer
mit dem Ausbau seines neuen Kalküls und mit Anwendungen des
selben beschäftigt. Es finden sich in seinem Nachlaß verschiedene Ent
würfe zu einer definitiven Publikation über den Gegenstand. Eine
solche erfolgte aber, wie oben gesagt wurde, erst 1684. Inzwischen
hatte sich Leibniz in einem Brief an Newton (1677) über seine Diffe
rentialrechnung ausgesprochen.
Kurfürst Friedrich UI. berief Leibniz nach Berlin; hier gründete
er die Akademie der Wissenschaften. Nach Hannover zurückgekehrt, war
er 1713 damit beschäftigt, dem Kurfürsten von Hannover die Thron
folge in England zu sichern, die ihm die Tories aberkennen wollten.
Diese polnische Tätigkeit trug wesentlich dazu bei, ihn mit Newton
zu verfeinden, der der Partei der Tories angehörte. 1714 kam der
Kurfürst von Hannover auf den englischen Thron. Aber Leibniz fiel
in Ungnade und war in den letzten Lebensjahren vereinsamt. Er starb,
von heftigen körperlichen Leiden geplagt, 1716.
Newton.
Isaak Newton wurde 1642 in Woolsthorpe bei Grantham in
Lincolnshire geboren und kam 1661 als Student nach Cambridge.
Hier studierte er Descartes' Osomotrio und Wallis' ^ritünietiea
infinitorum und hörte die Vorlesungen Barrows. Er hatte, wie man
sieht, mehr Glück als Leibniz, der während seiner Studienzeit nichts
von den neueren Fortschritten der Mathematik erfuhr. Newton dachte
über alles, was er las, selbständig nach und „das stete^Nachdenkeu"
war, wie er selbst sagte, der Weg. auf dem er zu seinen großen Ent
deckungen kam. In den Jahren 1665—67 fand er (durch das Studium
von Wallis angeregt) die Binomialformel für gebrochene positive
und negative Exponenten (vgl. S. 82) und verschiedene andere mit
unendlichen Reihen zusammenhängende Resultate?) Auch legte er da
mals schon den Grund zu seiner Fluxionsrechnung. Die direkte
1) Z. B. die Reihenentwicklung algebraischer Funktionen.