wird niemand getäuscht, eben weil sie konventionell ist. Das Un-
sittliche fängt erst da an, wo die Absicht besteht, den Angeredeten
zu hintergehen, ihm unrichtige Vorstellungen beizubringen. In
diesem Punkt unnachsichtlich zu säubern und namentlich selber
mit gutem Beispiel voranzugehen, sind in erster Linie diejenigen
berufen, die an verantwortlichen Stellen zu wirken haben.
Von der Wahrhaftigkeit unzertrennlich ist die Gerechtigkeit,
die ja nichts weiter bedeutet, als die widerspruchsfreie praktische
Durchführung der sittlichen Beurteilung von Gesinnungen und
Handlungen. Wie die Naturgesetze ehern und folgerichtig wirken,
im großen nicht anders wie im kleinen, so verlangt auch das
Zusammenleben der Menschen gleiches Recht für alle, für hoch
und niedrig, vornehm und gering. Wehe einem Gemeinwesen,
wenn in ihm das Gefühl der Rechtssicherheit ins Wanken kommt,
wenn bei Rechtsstreitigkeiten die Rücksicht auf Stellung und
Herkunft eine Rolle spielt, wenn der Wehrlose sich nicht mehr
von oben geschützt weiß vor dem Zugriff des máchtigeren Nach-
bars, wenn offenbare Rechtsbeugungen mit fadenscheinigen
Nützlichkeitsgründen bemäntelt werden. Für die Rechtssicher-
heit besitzt gerade der einfache Mann ein feines Empfinden.
Nichts hat den großen König Friedrich volkstümlicher gemacht
als das Märchen mit dem Müller von Sanssouci. In solcher Ge-
sinnung ist Preußen und Deutschland groß geworden. Möge sie
unserm Volke niemals verlorengehen! Ein jeder, der sein Vater-
land liebt, hat die heilige Pflicht, an ihrer Erhaltung und Ver-
tiefung mitzuarbeiten.
Freilich: über eines müssen wir uns von vornherein klar sein.
Die erstrebte Wirkung, ein endgültig befriedigender Zustand,
wird und kann niemals voll erreicht werden. Denn auch die beste
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