ein nacktes Weib, nur die Schultern mit einem Bocksfell bedeckend. Die
Bedeutung dieser Nebenfiguren erhellt aus dem ersten Briefe des hl.
Johannes, 2, 17: ,„Die Welt geht vorüber und ihre Begierlichkeit“. Am
Vorbau des Riesentores von St. Siephan in Wien ist eine Reihe von
Kopfkonsolen; sechs dieser Köpfe stelen die Vertreter der sechs Welt—
alter dar; in der Mitte zwischen ihnen ist das gekrönte, lockige Haupt
des Fürsten dieser Welt. Unmittelbar links von ihm liegt ein Anbeter
auf allen Vieren, der seinen langen Bart mit der rechten Hand umfaßt,
also beim Barte schwörend sich der Welt verpflichtet; rechter Hand zer⸗
beißt ein Löwe das verzerrte Haupt des Betorten; das ist „der Welt
Lohn“, der Löwe bedeutet Tod und Teufel. Das sind Warnbilder im
Sinne des „Memento mori“, an das Ende, an der Welt Lohn. Alle diese
Bilder sind später als der Bamberger Reiter und stellen das Thema der
Vergänglichkeit krasser dar; doch gehört auch dieser Fürst auf stolzem
Rosse der gleichen Symbolik an als ein Warubild.
Der Bamberger Reiter
Dieser wahrhaft fürstliche Verkörperer der Welt trägt nicht die trauri—
gen Zeichen der Vergänglichkeit an sich. Der Meister, der dieses ernfte,
vornehme Reiterbild geschaffen hat, erstrebt keine grobdeutliche Vorfüh—
rung eines Versuchers und Sittenverderbers, eines Satans in Men—
schengestalt. Ihm ist der Mundus das Bild der schönen Welt, deren
Trug und Vergänglichkeit den Menschen erst dann zum Verderben
wird, wenn sie in törichter Begierlichkeit an ihr zu Sündern werden.
Der Bamberger Reiter ist kein wilder Jäger, kein Raubritter, kein
Gewalttätiger. Er ist adelig, trüge er auch nicht Krone und Zepter,
ein König, sein Reich ist diese Welt; ihm muß von Natur aus jeder
Mensch irgendwie dienen, aus seiner Hand essen. Seine Größe, seine
Schönheit und Würde hat ihm Gott verliehen, seine Anziehungskraft
kann niemand bestreiten. Er findet Gefolgschaft, kluge und törichte, ohne
aufdringlich zu werben. Wie jener Reimser König am Manteélriemen
spielend, reitet er dahin, sein Reich zu beschauen und sich zu zeigen.
Und doch ist er als Warnbild gedacht. Der Beschauer wird an die
Vergänglichkeit der Welt gemahnt durch das teilnaͤhmslose Vorüber—
reiten des Fürsten. Das geht vorbei! Daß er reitet, daß das Pferd ihn
trägt, muß nicht in die Ausdeutung einbezogen werden. Wer könnte
sich, wenn ein herrlicher Mensch auf edlem Rosse vorüberzieht, des
Wunsches erwehren, das Bild langer betrachten zu können? Aber der
Reiter hält sich nicht auf, er kümmert sich nicht um die Blicke, die ihm
folgen, um die Herzen, die a verschreiben und an ihm zu Grunde
gehen. Er reitet vorüber. „Vorüber geht die Figur, die Gestalt der
Welt“ (1. Kor. 7, 31).
Der Reiter schaut über uns hinweg er blickt spähend in die Weite.
Wo ist die Grenze, wann das Ende? Eein Blick in die Ferne regt den
Beschauer an des Ungewisfsen, Unheimlichen zu gedenken, das un sicht⸗
bar, unaufhaltsam Inse Respice finem, denk ans Ziel und Ende!
Aus den Gesichtszügen des Reiters sind, wie oben gesagt, die wider—
sprechendsten Gemütsbewegungen von der Lüsternheit bis zur Gott—
seligkeit herausempfunden worden. Mit den Feingefühlen persönlicher
Auffassung und Einstellung, abhängig von zufälliger Beleuchtung und
Stimmung, ist kein Beweis zu führen.
Ohne Kennzeichen der Vergänglichkeit erweckt der Reiter die Vor—
stellung des Vorüberziehens im Sinne des Apostelwortes: Vorüber
geht die Figur dieser Welt. Der Reiter ist die Figur der schönen Welt.
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