Wesen nicht auf, sie sind gleichsam an den Boden geheftet. Das Tie—
rische an diesen Gegnern ist an den beiden von ganz gleicher Gestalt
und Haltung; die mit ihnen zu einem Wesen verwachsenen Menschen
allein kämpfen. Das Tierische ist das Niedrige, vom Boden Abhängige,
der untere Teil des Menschen, der Körper. Das dem Adler Ver—
gleichbare ist der Geist, der den Menschen befähigt, den Leib zu be—
herrschen und im Gedankenflug überirdische Gebiete zu durchstreifen,
die den Pferdemenschen verschlossen bleiben.
Die „Obermenschen“ dieser zwei Mischwesen kämpfen mit gleichen
Vorbedingungen und mit den gleichen Waffen, Schwert und Rund—
schild. Es ist also ein ehrlicher Zweikampf, nicht zufällig entbrannt,
sondern verabredet. Somit kann darin die Andeutung für die Dia—
lektik mit ihren ÜUbungen im Disputieren erkannt werden.
Prüfen wir noch die Kämpfenden auf ihre Unterschiede. Der Linke
ist bartlos, sein Haupthaar reicht nicht bis auf den Nacken. Der Rechte
aber ist bärtig, er stellt wohl den Älteren dar. Dazu trägt er aber
langes Haupthaar, wie vorher der Lehrer in der Rhetorik nach dem
Vorbilde Samsons. Wir dürfen also hier den Lehrer der Dialektik
feststellen, der mit dem Schüler den Wort- und Geisteskampf übt und
mit seinem Schwerte zu gewaltigem Streiche ausholt. Der Lehrer
muß in einem solchen Schulkampf dem Schüler die gleichen Waffen
zugestehen, er wird ihm Einwände entgegenhalten, die widerlegt wer—
den müssen, er wird auch manchmal die Schlagfertigkeit des jüngeren
Gegners fühlen müssen, wie hier, wo dieser soeben den Rundschild des
Lehrers spaltet, seine Deckung, fseine Beweisgründe zersplittert. Die
Zier dieses Schildes, das „Lilienkreuz“, ist wohl ohne symbolische Be—
deutung, zumal der Schild des Schülers nur von der Innenseite zu
sehen ist. Zwischen den Kämpfenden wächst ein Strauch mit vier Blu—
men aus dem Boden, vielleicht nur eine Funung vielleicht eine An—
deutung des Siegespreises, um den der Schüler kämpft, die Zulassung
zum höheren Stüdium, dem Quadrivium. Dialektik ist ein Kampfspiel
zur Üübuüng des Geistes, wodurch der Schüler die scharfe Unterschei—
dung des Richtigen vom Falschen und den Gebrauch der geistigen
Wasfen, die wissenschaftlich-ritterliche Streitführung lernen soll. Ar—
lete sie auch aus in Spiegelfechterei, in Streit um leere Begriffe und
Wortgeplänkel, so liegt der vorliegenden Szene doch ein diesbezüg—
licher, spöttischer Hinweis ferne. Hier handelt es sich um den ernsten
Schulbetrieb. Disputation mußte geübt werden, denn sie war notwen—
dig zur Erlangung der akademischen Grade; bei Schulfesten und ähn—
lichen Veranstaltungen wurden eingelernte und freie Disputationen
von jüngeren Schülern vorgeführt. Auch in diesem Bilde kämpft der
dehrer mit dem Schüler, die Plage des Unterrichtens ist genügend zu
erkennen. Man könnte auf den Gedanken kommen, die St. Nikolaus—
Kapelle habe etwa zur Pfründe eines Scholastikus gehört, der diese
Darstellungen erdacht habe.
4. Der Kampfum höhere Wissenschaft
Der junge Mann hat die tierische Schwerfälligkeit und Unwissen—
heit abgelegt; als gegürteter, bewaffneter Kämpfer tritt er auf. Mit
Absicht ist fein Kopf als Spiegelbild des Schülers der Dialektik ge—
staltet; es ist der, der das Trivium absolviert hat. Der Schulzwang
ist vorüber, er ist auf sich selbst gestellt. Jetzt beginnt erst der ernste
Kampf des Lebens, der um die Existenz, den Beruf, die Geltung und
das Ansehen geht.
Am Eingang in das höhere Reich des Wissens, nehmen wir an,
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