22 J. Pechar, Dr. A. Peez.
Betrachtung viel von dem Beruhigenden, das fie für den erften Anblick zu ent-
halten fcheinen. Man ift in England bereits auf dem Punkte, um in vermehrter
Förderung zugleich einen weiteren Schritt zur Erfchöpfung der Kohlenvorräthe
zu erblicken. Vermehrte Produdion follte die Preife drücken, die Beforgnifs
einer rafcheren Erfchöpfung aber hält fie hoch! Dazu kommt noch ein zweiter
Punkt. Die im Jahre 1873 neu angelegten Schächte erfordern eine Belegfchaft
von circa 20.000 neuen Arbeitern. Woher diefe nehmen? Und unter welchen
Bedingungen find fie zu bekommen’? Bei diefer verwickelten Sachlage ift es noch
nicht abzufehen, ob wirklich das Publicum einen Vortheil von jenen neuen Kohlen.
auffchlüffen haben, oder ob nicht. der ganze Vortheil den Gewerken oder den
Arbeitern anheimfallen wird.
Ueberdiefs fchreitet die Erfchöpfung der alten Lager, aller Wahrfchein-
lichkeit nach, rafcher voran, als die Erfchliefsung neuer. Es läfst fich nicht leug-
nen, dafs einige ältere Kohlenflöze bereits ftark im Abnehmen begriffen find. In
Shropfhire find die weftlichen Baue fchon öde und von den Arbeitern verlaffen.
In Staffordfhire ift das berühmte Dudley-Flöz, auch Zehn-Ellenflöz genannt, der
Entkohlung nahe. Den Kohlenfeldern von Flintfhire gab man fchon im Jahre 1805
nur mehr einen Vorrath von 20 Millionen Tonnen, und auch im Norden find
grofse Strecken fchon völlig ausgekohlt. Diefs trifft natürlich gerade die qualitäts-
mäfsig beften und dabei feichteren und leichter abzubauenden Flöze. Die’ übrig
bleibenden erfordern alfo jedenfalls gröfseren Capitalaufwand und vermehrte
Arbeit — mit einem Worte: dieFörderung wird fchwieriger un d das
geförderte Product theuerer.
Auf-dasfelbe Ergebnifs läuft die Arbeiterfrage hinaus. Die Arbeit in den
englifchen Kohlengruben ift fchwierig und gefährlich, weit fchwieriger und
gefährlicher als in den meiften deutfchen und öfterreichifchen Kohlenwerken.
Nach officiellen Berichten fällt in England, je nach der Oertlichkeit und Leitung
auf 60.000 bis 180.000 Tonnen Förderung Ein Menfchenleben zum Opfer. Die
Zahl der tödtlichen Unfälle bei dem gefammten englifchen Kohlen-Bergbaue wird
auf 900 bis ıtoo jährlich berechnet, erreichte aber in unglücklichen Jahren di
Ziffer von 1400! Das ift der Menfchenverluft einer kleinen Schlacht und die
Ueberlebenden geniefsen, nach.ihrer Anficht, für die ftete Gefahr nicht die
genügende Entfchädigung. Die oft geringe Mächtigkeit der Flöze, die nicht
felten eine Bearbeitung in liegender Stellung erheifcht, bringt für den Arbeiter
Befchwerden mit fich, die durch die hohe Temperatur noch vermehrt werden.
Die durchgängig beftehende grofse Tiefe der Gruben verlängert die Momente,
in welchen der Bergmann zwifchen Himmel und Erde fchwebt, und legt dem
Kohlenbefitzer die Verfuchung nahe, mit möglichft wenig Schachtanlagen, die fo
koftbar find, auszukommen. Durch die Tiefe der Gruben und die Seltenheit der
Schächte ift die Ventilation fchwierig und fchlagende Wetter werden fehr
gefährlich. Bis in die neuere Zeit fehlte es dem englifchen Kohlen-Bergbaue an
der wiffenfchaftlichen Leitung, welche den deutfchen und öfterreichifchen Berg-
bau im Allgemeinen auszeichnet, ohne jedoch auch in den genannten Ländern —
wir erinnern an Lugau — die erfchütternditen Cataftrophen ganz vermeiden zu
können. In vielen englifchen Kohlenrevieren find über die älteren Baue nicht
einmal Grubenkarten vorhanden, fo dafs neue Anlagen dadurch nicht nur in
ihrer rationellen Dispofition gehindert find, fondern auch oft ganz plötzlich auf
verlaffene Strecken mit böfen Wettern und angefammelten Wäffern ftofsen,
wodurch in manchen Revieren die Gefahren des Bergbaues wefentlich ver-
mehrt werden. Die Gewinnfucht der Eigenthümer und Ingenieure fpart zuweilen
an den erforderlichen Stützanlagen, wefshalb Einbrüche der Decke nicht zu
den Seltenheiten gehören, und der Leichtfinn der Arbeiter thut zu wenig, um
folche Unfälle zu vermeiden. Wie viel gute Eigenfchaften auch den englifchen
Arbeiter und Werkführer auszeichnen mögen — eine auf naturwiffenfchaftlichen
Kenntniffen beruhende Einficht und Vorficht gehören nicht dazu:
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