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$ 106. 107. Brenner’sche (Polare) Untersuchungsmethode. 267
sie etwas später als die Schliessungszuckung des aufsteigenden Stroms.
Dass endlich bei sehr bedeutender Stärke eines absteigenden Stromes
der durch das Oeffnen der Kette entstehende starke Reiz (Verschwin-
den des starken Anelektrotonus) nur eine „schwache Zuckung“ auslöst,
liegt daran, dass er, um bis zum Muskel zu gelangen, die stark
katelektrotonisirt gewesene Nervenstrecke passiren muss, welche
Nervenstrecke unmittelbar nach Oeffnung der Kette weniger erregbar
und leitungsfähig wird, so dass der von zentralwärts her kommende
Reiz eine starke Hemmung erfährt und nur ganz abgeschwächt bis
zum Muskel gelangt.
$ 107. Offenbar sind die Verhältnisse, wie sie beim Tierexperi-
ment des Physiologen obwalten und wie sie sich andererseits dem Arzt
am lebenden Menschen darbieten, durchaus verschiedene. In letzterem
Falle ist ja, ganz abgesehen von der für das Eindringen des Stromes
in die Tiefe so wichtigen Hautbedeckung, der Nerv von mehr oder
weniger gut leitendem Gewebe umgeben, und es drängte sich daher
die Frage auf: kann man denn überhaupt einen elektrischen Strom
am unversehrten Thierkörper in einer bestimmten Richtung durch
einen Nerv oder Muskel leiten?
Nach Versuchen, wie sie von Burckhardt*° und v. Ziemssen
an menschlichen Leichen angestellt sind, muss diese Frage in der
Tat bejaht werden: es gehen wirklich messbare Stromschleifen durch
die in der Tiefe liegenden Nerven auch bei Einleitung solcher Ströme
in den Körper, wie sie elektrodiagnostisch und elektrotherapeutisch
täglich angewendet werden. Diese Stromschleifen wechseln ferner
ihre Richtung mit der des Hauptstroms und werden mit der Zunahme
der Stärke des Hauptstroms selbst intensiver.
Trotzdem aber bezweifelte Brenner die Möglichkeit, hinreichend
dichte Zweigströme durch die Nerven bei unversehrter Umgebung durch-
zusenden; jedenfalls glaubte er, es durchaus vorziehen zu sollen, ohne
irgend welche Rücksicht auf die Richtung des Stromes zu nehmen, zu
untersuchen, wie sich die Nerven oder wenigstens einzelne in Folge
ihrer Lagerung zur Oberfläche bequem für die Applikation der Elek-
troden daliegende Strecken derselben gegen die Einwirkung des posi-
tiven (Anode) odes des negativen (Kathode) Pols eines Batteriestroms
verhalten, je nachdem man den Strom schliesst oder öffnet. Diese
von Brenner in die Elektrodiagnostik eingeführte und mit dem Namen
der „polaren“ bezeichnete Untersuchungsmethode (vgl. übrigens,
was das Historische betrifft später) hat jedenfalls den Vorzug