278 Elektrotonische Zustände am lebenden Menschen. Kap. XV.
vorhandene Erregbarkeitssteigerung einer deutlichen Herabsetzung der
Erregbarkeit Platz und diese geht dann allmählich über in eine oft
recht lang andauernde Erregbarkeitssteigerung (von über 1'/, Stunden),
andererseits folgt der Herabsetzung der elektrischen Erregbarkeit in
der anelektrotonischen Zone unmittelbar eine Steigerung der Erregbar-
keit, welche sehr deutlich und lang andauernd ist.
Entsprechende Resultate ergaben sich auch bei der Prüfung der
„elektrotonischen Verhältnisse der sensiblen Nerven“. Ohne noch
weiter auf diese an sich hoch interessanten Untersuchungen hier ein-
gehen zu wollen, scheint es uns doch erforderlich, hervorzuheben, dass
zuerst Erb°? in seinen oben erwähnten Untersuchungen in Wahrheit
Resultate erhalten hat, welche denen Eulenburg’s diametral ent-
gegenstehend, nachwiesen, dass am lebenden Menschen in der Nähe
der Kathode anelektrotonische Zustände herrschten und katelektro-
tonische in der Nähe der Anode. Es waren Helmholtz’s Erklärungen
(vgl. S. 272), welche dieses scheinbare paradoxe Faktum in licht-
voller Weise aufhellten durch den Nachweis der Diffusion der elek-
trischen Ströme, welche bei der verschiedenen Leitungsfähigkeit der
tierischen Gewebe zwar in relativ grösster Dichte den Strom in die
unmittelbar unter der Elektrode liegende Nervenpartie eintreten lässt,
aber ihm eventuell nur wenige Millimeter weiter den „Austritt“ aus
diesem Nerven in die umgebenden Teile gestattet und so in der Um-
gebung der „aktuellen“ Anode oder Kathode „virtuelle“ Kathoden
bezw. Anoden schafft. Und in der Tat erhielt jetzt Erb bei einer
Versuchsanordnung, welche es gestattete, die polarisirende und erre-
gende Elektrode an denselben Punkt zu appliziren, durchaus mit
den Ergebnissen der physiologischen Forschung übereinstimmende
Resultate.
$ 111. Berücksichtigt man nun alle diese Verhältnisse, so liegt
es auf der Hand, dass man bei der Untersuchung der Erregbarkeit
motorischer Nerven durch den konstanten Strom nicht allein auf die
Dauer der Untersuchung, auf die dadurch bedingte Veränderung der
leitungsverhältnisse der Bedeckungen, sondern auch auf die durch die
Modifikationen der Nervenerregbarkeit abgeänderten Reizresultate Rück-
sicht nimmt. Man hat also stets, will man ganz exakt vorgehen,
eine gewisse Zeit verfliessen zu lassen, ehe man einen Nerven nach
der Prüfung seines Verhaltens gegen den negativen Pol (Kathode)
auf seine Reaktion gegen den positiven (Anode) untersucht und
vice versa.