Full text: Elektrizitätslehre für Mediziner und Elektrotherapie

$ 127, 128. Galvanische Reizung der Geschmacksnerven. 813 
tern ist die Anode geeigneter, das in Rede stehende Phänomen zu 
erzeugen, als die Kathode; interessant ist auch die Tatsache des oft 
noch stundenlangen Fortbestehens der Geschmacksempfindung auch 
nach der Entfernung der Elektroden. Diese Tatsache, sowie die 
schon oben angeführte Beobachtung, dass auch von ganz entfernten 
Punkten her Geschmackssensationen hervorgerufen werden können, 
sprechen an sich schon gegen die von Einigen aufgestellte Erklärung 
der beobachteten Esscheinungen durch die Theorie der Elektrolyse, 
eine Behauptung, welche durch mannigfach modifizirte Experimente 
von J. Rosenthal"? als vollkommen unhaltbar nachgewiesen worden 
ist. Noch eigentümlicher ist die von Schönbein !? aufgestellte und 
verteidigte Behauptung, dass der durch den konstanten Strom aus der 
atmosphärischen Luft abgeschiedene Stickstoff sich ‚mit Sauerstoff zu 
Salpetersäure verbinde und nun den sauren Geschmack erzeuge: sowohl 
der bitterlich alkalische Geschmack an der Kathode, wie die Er- 
regung von Geschmacksempfindungen von entfernten Punkten der 
Körperoberfläche her bleiben bei dieser Theorie durchaus unerklärt. 
Allgemein angenommen ist deshalb heute die Theorie von der Er- 
regung der spezifischen Energie der Geschmacksnerven mittelst des 
galvanischen Stroms, der eben diesen Nerven ebenso wie den Seh- 
oder Hörnerv in der ihm allein eigentümlichen Weise auf den galva- 
nischen Reiz reagiren lässt. 
Bei Trigeminuslähmungen, sowie bei schweren, die Uhorda tym- 
pani mitbeteiligenden Lähmungen des N. facialis, bei Affektionen des 
N. glossopharyngeus wird man bei Prüfung des elektrischen Ge- 
schmacks (Aufsetzen einer kleinen knopfförmigen Elektrode auf die 
verschiedenen Stellen der Zunge, die andere Elektrode [Ka oder A] 
ruht an einem indifferenten Punkt [der Hand des zu Untersuchenden], 
die anzuwendende Zahl der Elemente braucht 5—6 nicht zu über- 
schreiten) denselben entweder an den vorderen zwei Drittteilen der 
entsprechenden Zungenhälften resp. (bei Glossopharyngeus-Affektionen) 
an den hintersten Zungen- und den Gaumenpartien vermissen, oder 
ihn bei allgemeiner, entweder hysterischer oder durch organische 
Hirnläsionen bedingter Hemianaesthesia unilateralis (an welcher die 
Sinnesorgane Teil nehmen), einseitig abgeschwächt resp. vernichtet finden. 
$ 128. Es erübrigt nun noch der Erscheinungen zu gedenken, 
welche mittelst der Elektrizität an den sensiblen Nerven der 
Haut und anderer Organe (Muskeln z. B.) hervorgerufen werden können. 
Was zunächst die Haut betrifft, so ist oben schon ($ 81) weit- 
 
	        
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