Kapitel XX.
Von der therapeutischen Verwertung des galvanischen
(konstanten) Stromes im Allgemeinen.
$ 147. Seitdem besonders durch R. Remak’s Bemühungen der
konstante oder der galvanische Strom zur Behandlung der
meisten Nervenleiden in die. Therapie eingeführt worden ist, haben
die anfänglich übermässigen Anpreisungen und die späteren ebenso
ungerechtfertigten Schmähungen im Laufe der Jahre allmählich einer
ruhigeren und vorurteilsloseren Betrachtung über dieses Heilmittel
Platz gemacht. Ueberflüssig wäre es, an dieser Stelle noch einmal
auf die oben schon genügend auseinandergesetzte Bedeutung aufmerk-
sam zu machen, welche der konstante Strom als diagnostisches
Hilfsmittel zu beanspruchen hat. In Bezug auf therapeutische
Wirkungen ist es zunächst unzweifelhaft, dass wir mittelst des gal-
vanischen Stroms Nerven und Muskeln erregen können, nach Gesetzen,
wie sie des Weiteren erläutert worden sind. Schliessungen und Oefl-
nungen des Stroms, vor Allem die sogenannten Volta’schen Alter-
nativen, regen in lebhafter Weise Nerven und Muskeln zur Tätigkeit
an. Diese unmittelbaren erregenden und gleich wie beim faradischen
Strom durch die bewirkten Kontraktionen die Ernährung des Gewebes
fördernden Wirkungen mögen vielleicht in solchen Zuständen als be-
sonders vorteilhaft zu betrachten sein, wo Muskelgebiete in Folge
schwerer peripherischer oder centraler Lähmungen (vgl. $ 115 u. 120)
für lange Zeit dem Willenseinflusse entzogen auch den stärksten fara-
dischen Reizen nicht antworten, wäbrend sie durch verhältnissmässig
schwache galvanische Ströme zur Kontraktion gebracht werden können.
Ferner ist hier noch einmal auf die Nachwirkungen des kon-
stanten Stromes hinzuweisen, wie sie ebenfalls schon oben ($ 110)
beschrieben worden sind; hiernach wird durch das Durchflossenwerden
von einem konstanten Strom (an beiden Polen) die Erregbarkeit eines
Nerven auch für die Zeit nach dem Fliessen des Stromes vermehrt.