VI. Mingzeit (1368 —1644)
Im 14. Jahrhundert begann es im ganzen Kaiserreiche zu gären. Die Fremd-
herrschaft wurde nur mit Unwillen ertragen, und als eine schlechte Verwaltung un-
oeheure Lasten aufbürdete und schließlich Überschwemmungen und Mißernten hin-
zukamen, war die Unzufriedenheit so allgemein, daß an verschiedenen Teilen des
Reiches Rebellen auftraten. Ein Soldatenhaufen, der führerlos geworden war, erhob
(1354) einen ihrer Kommandanten, der aus einfachen Verhältnissen stammte, aber
durch Mut und Tatkraft großes Ansehen errungen hatte, zu ihrem Anführer. Unter
seiner geschickten und erfolgreichen Leitung kam Zuzug von allen Seiten, so daß
er mit verstärkten Kräften bis zum Yangtsekiang vordringen und sogar die alte
Kaiserstadt Nanking erobern konnte. In jahrelangen Kämpfen besiegte er alle
übrigen Rebellen und vertrieb schließlich die Mongolen endgültig aus China.
1368 bestieg er in Nanking den chinesischen Kaiserthron und wurde als Hungwu
der Gründer der Mingdynastie.
Wieder war ein nationaler Herrscher auf dem Thron. Keine neuen Ideale
hatten den Wechsel hervorgerufen oder begleitet, und auch kein fremdes Volk einer
hohen Kultur hatte die Herrschaft übernommen, sondern ein schlichter Mann aus
dem Volke. Der Kampf war gegen den Druck der Fremdherrschaft entstanden
und unter der Flagge der alten chinesischen Tradition geführt. Nicht etwas Neues
in Sitte und Kunst sollte geschaffen werden, sondern eine Wiederauferstehung
der nationalen Tang- und Sungzeit.
Man griff zurück auf die guten Traditionen der klassischen Kunst, und es
entstand eine Art Renaissance, allerdings mehr in der äußeren Form als im inneren
Geiste. Die Malerei wird wie früher die Dichtkunst ($. 159) „gewissen Satzungen
und Vorschriften unterworfen, die nicht mehr umgangen werden dürfen: sie wird
zur Kunst im Sinne des technischen Könnens“.
Die chinesischen Kritiker teilen die Kunst der Ming in zwei Perioden,
deren erste sie bis zum Jahre 1500 und die zweite bis zum Ende 1644 rechnen.
Nur die Kunst der ersten Epochen wird der Yuankunst gleichgeschätzt, während
die zweite eine konventionelle Erstarrung aufweist, die unter der gegenwärtig
herrschenden Dynastie weiter verflachte.
Die alte Scheidung der weicheren südlichen und der mehr ernsten nördlichen
Schule bleibt bestehen. Es sind Unterschiede, die sich im wesentlichen auf die Aus-
wahl der Sujets, besonders bei den Bergen, und auf die Art der Linienführung er-
strecken. Daneben erstehen nach den Angaben der japanischen Gelehrten zwei neue
Stile, die, wenn ich es richtig verstanden habe, einen Unterschied der Pinselführung
bedeuten. Die Che oder Chekiang genannte Schule malt mit einem kecken, breiten
Pinselstrich, während die Wuschule mehr in feinen, zierlichen Linien zeichnet. Da-
gegen die Gestaltung der Komposition, das einfache Motiv oder die komplizierte
Zusammensetzung mehrerer Einzelmotive, sowie die Technik der Perspektive und
der monochromen oder bunten Ausführung ist allen Schulen gemeinsam. Ebenso