Vorwort
Wer die wirkenden Kräfte zu erkennen ſucht, die das Angeſicht der Menſch-
heit geformt haben und die auch unſere Gegenwart beſtimmen, dem iſt die
Bedeutung der oſtaſiatiſhen Welt keine neue Entde>ung mehr. Wenn die
großen Kontinente Amerikas, Auſtraliens und ſelbſt der afrikaniſhe Erd-
teil erſt heute beginnen, in die Geſtaltung der Welt und unſeres Weltbildes
einzutreten, und auch fie erft in dem Maße, wie fie von den Energien des
Abendlandes ergriffen und durhwirkt werden, ſo hat das alte Aſien eine
Reihe von Kulturen hervorgebracht, die mit eigenem Recht neben der euro-
päiſchen beſtehen und dieſer ſelb} Weſentliches gegeben haben. Und wenn
der vordere Orient, wenn ſelbſt Indien mit der Formung unſeres eigenen
Weſens dur< Geſchichte und Verwandtſchaft enger verbunden find, fo hat
das öftlihe Aſien in ſeinem Kernland Ching und in ſeinen Nebenländern,
beſonders in Japan, eine durchaus ſelbſtändige Kultur geſchaffen, die an
Alter, Tiefe und Reichtum, ja an innerer Stärke cin gleihwertiges Gegen-
bild des abendländiſchen Weſens iſt. Dieſe Kultur iſt zur Zeit Marco Polos
zum erſten Male entde>t, von den Reiſenden und Miſſionaren des 17. und
18. Jahrhunderts wieder aufgefunden und deutlicher erkannt worden, aber
erſt ſeit zwei oder drei Generationen beginnt ſie im lebendigen Austauſch
wirkſam in unſer Bewußtſein zu treten. Die einſ verſchloſſenen, ſi ſelbſt
genügenden Reiche und Nationen haben ſih den weſtlihen Gedanken und
Lebensformen geöffnet, ohne deshalb den Grundgehalt ihres öſtlihen Men-
ſhentums preiszugeben. Das alte Abendland aber und nicht weniger das
junge Amerika iſt nun ebenſolange beſchäftigt, das äußere Bild und das
innere Gefeß jener öftlichen Kultur fidy erfennend zu eigen zu machen. Jn
dem großen Austauſch, der ſo fich vollzieht und der vielleicht einmal zu einer
univerfalen Kultur der Menſchheit führen wird, ſind wir niht nur die
Gebenden, ſondern ebenſo auch Empfangende. Die Religionen und die
Weisheit, die Dichtung und die Kunſt des Oſtens haben auch uns unend-
lich vieles zu ſagen. Wir wollen ſie keineswegs mit blinder Hingabe aufneh-
men und als höhere Werte betrachten, aber es iſt unſere Aufgabe, ſie aus
dem Grunde zu begreifen und unſere Anſchauung der Welt vergleichend und
wägend mit ihnen zu bereichern und abzuklären. Das Höchſte und Tiefſte,