Full text: Wanderfahrten eines Kunstfreundes in China und Japan

  
184 Kyoto TI 
Kyoto, 8. März. Geſtern iſ ein Freund aus Tokyo angekommen, und 
ih habe verſprochen, ihn früh im Hotel aufzuſuchen. Wir {mökern zuerſt 
ein wenig in alten Holzſchnittbüchern beim Antiquar, dann brechen wir auf 
zu einer Wanderung in die weftlichen Berge. Wir fahren mit der Bahn bis 
Takaoguchi und ſteigen von da über eine Anhöhe nah Takao. Hier kommen 
wir in eine herrliche Waldihluht und fteigen jenfeits empor zum Singoji, 
einem alten Shingon-Klofter, das ganz einfam auf der Höhe liegt. In einer 
der Hallen, Godaido genannt, ſtehen die fünf Myowo und fünf Kofuzo, 
ſikend, in Holz gefehnigt. Dann ift hier eine der befannteften Kaufhitfu-Figu- 
ren der reifen Temppo-Zeit, der fisende Shafyamuni-Buddha, das Gewand 
klaſſiſch edel und weih geformt, aber das Geſicht merkwürdig leer. Jm Kondo 
thront im Schrein ein Yakuſhi-Buddha, der wegen des Dunkels kaum zu 
ſehen iſt, neben ihm ſtehen Nikko und Gakko, faſt lebensgroß in Holz, doh 
ohne Faſſung. Sie erinnern an die köſtlihe Sho-Kwannon im Muſeum zu 
Kyoto, doch find fie ein wenig ſteifer, dürften alſo aus der Kamakura-Zeit 
ſtammen. Dazu kommen die vier Welthüter und die zwölf Himmelsfeldherren 
in höchſtens halber Lebensgröße, Zeugniſſe einer ſpäteſten Barod-, ja Nofofo- 
plaſtik, in Weiß und Gold gefaßt, mit flammenden Nimbuskreiſen. Es iſt 
wunderbar ſtill in dieſer Einſamkeit, und wir wandern gern über die Berge 
weiter nad) Saga. Hier befuchen wir nod einmal dag Seiryoji und Flopfen 
bei Tomita Keiſen an, treffen ihn aber nicht zu Haufe. Den Abend verbrin- 
gen wir behaglich im Kyoto-NHotel. 
Heut iſt ein Regentag, und ih arbeite für mic zu Haufe, fchreibe Briefe 
und an einem Aufſaß. Jch überſeße die Aufſchriften auf drei Bildern des 
Abts Maruyama Denei. Sie lauten: 
l. Kiefer und Fels 
Der Wind fingt in den Bäumen — 
Im Stein iſt Schweigen. 
2. Hängende Trauben 
Süße Trauben hängen voll Trauer. 
Tod und Leben — hier ſind ſie eins. 
3. Kürbisflaſche und Reiſig 
Eines Kindes Lächeln 
Macht Waſſer zu Wein. 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
   
   
   
   
  
    
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