Nefing III
Peking, 26. Juni. In der legten Woche konnte ich endlich mit dem
Studieren der älteſten und wertvollſten Bilder aus der Sammlung K'ien-
lungs, und zwar im Nordteil des Palaſtes beginnen. Sn einer ganzen Flucht
alter Hofgebäude ſind die Rollen in Holzkäſten und Schränken oder Truhen
verpa>t und ſorgfältig mit geſtempelten Papierſtreifen verklebt. Ein ganzes
Aufgebot von Beamten, Kontrollbeamten und Dienern war verſammelt, um
die Streifen abzulöſen, die Bilder der Reihe nah herauszunehmen und vor
mir aufzuhängen, ſie dann wieder zuſammenzurollen, einzupaden, die Kon-
frolfftreifen wieder über die Käſten zu kleben und neu zu ſtempeln, und
es wurde über die ganze Prozedur ein genaues Protokoll aufgenommen.
Dieſe Vorſichtsmaßnahmen berühren etwas naiv, wenn man bemerkt, wie
leicht ein ſolher Streifen abzulöſen und wieder anzubringen wäre, aber die
Vorſicht bei dieſen Schätzen iſ nicht unbegründet, wo ſhon ſo manches ver-
{wunden iſ und da es fich wirklich zum guten Teil um die ſeltenſten und
erleſenſten Kunſtwerke handelt. So ſah ih denn hier ein Bild mit Rehen
oder Hirfchen im Wald oder einer Art Baumgarten, die Laubwipfel in zar-
ten wechfelnden Farben braun, roſa und bläulich getönt und wie frapez-
förmige DBlattfchichten ineinandergefchoben, fait raumlos und von höchſt
altertümlihem Stil. Sehr {<ön war die weihe Melodie der Verzweigun-
gen, die zarten, leiſen, beweglihen Umriſſe der Tiere, die zaghafte Striche-
lung der Felſen. Ein traumhaftes Bild, ih kenne nichts Ähnliches. Faſt
ebenſo merkwürdig iſ eine <male und hohe Berglandſchaft, die einem un-
bekannten Meiſter der T'ang-Dynaſtie zugeſchrieben wird. Aus dem dunkel-
braunen Seidengrund wachſen Berge über Berge, die wunderbar wie Zuder:
hüte anſteigen, bald mit leiſem Malachitgrün, bald mit tiefem Graublau ge-
tönt und an den Rändern mit weißem Reif oder Schnee beſtreut, ebenſo wie
die kahlen Bäume unten im Vordergrund. Die Felſen find teilweiſe mit
dünnen Goldrändern konturiert, die Felszeihnung ift ſtrihelnd und klein-
teilig, die Baumſkelette etwas freier geſchwungen. Man gewinnt hier eine
Ahnung von den koloriſtiſhen Prinzipien der T’ang-Malerei, die wir bis-
her nur aus der Literatur und aus Späterem uns rekonſtruieren konnten: es
iſt ein Rhythmiſieren weniger Farbtöne, die zugleih mit den immer wieder-